(21.–40. Tausend. Verlag des Volksbildungsvereins zu Wiesbaden, 1917)
35 Herr Küllenberg sagte es seinem Sohne bei jeder Gelegenheit wieder, damit sei es noch lange nicht getan, dass sie die besten Solinger Häppcher fabrizierten, und dass sie die große Säbellieferung für die kolumbische Kavallerie gekriegt hätten, man müsse auch an den Fortbestand der Familie denken. Und die Zukunft der Küllenbergs stünde nunmehr auf nur zwei Augen, auf denen Gottfrieds.
Und Frau Küllenberg rückte ihrem Einzigen das Schlüppchen zurecht und sah ihn mütterlich an und seufzte und bemerkte dazu, er würde nun nächstens schon vierunddreißig Jahre. Dann sei er aus dem Schneider, und es wäre schon bedenklich für einen jungen Mann, wenn er aus dem Schneider wäre.
Und alsbald sprach Küllenberg Senior wieder davon, dass man geachtet in der Welt dastünde, nicht nur der Häppcher wegen, und dass man Ansprüche machen dürfe und bei einer Brautwahl auch ein wenig auf „Moses und Propheten“ sehen könne.
Und Frau Küllenberg nannte ein halbes Dutzend vermögliche junge Damen, die gewiß nicht abgeneigt wären. Aber wenn er auch einen „Fiduz“ auf eine kriegen sollte, die nicht viel mitbrächte, so wär' das auch kein Unglück, wenn sie nur sonst gut imstande wär'.
Da tat der sonst so stille und in sich gekehrte Gottfried seinen Mund auf und meinte, dann hätte die 36 Sache ja keine große Eile, denn eine ohne Geld fände er auch später noch. Und eine ohne Geld wär' ihm schon sympathischer, als eine, die für jeden Taler, den sie mitbrächte, für zwei Taler Anschläge habe.
Damit ging der Gottfried hinaus. Er müsse mal einen Gang über die Höfe machen und nach den Schleifkotten, damit die Lieferungen ordentlich in Gang kämen.
Die Mutter schaute ihm nach, wie er durch das Pfädchen im Baumhof, in dem das stattliche, schieferbeschlagene Fabrikantenhaus lag, ins sommerliche Tal hinausschritt, den waldigen Bergen zu.
„Er ist als wat eigen, unser Gottfried,“ meinte sie. „Er ist nicht wie die anderen und hält sich für sich.“
Herr Küllenberg stieß ein paar Rauchwolken aus seiner langen Pfeife von sich. „Ich glaub', er hat et hinter den Ohren, de Jung',“ brummte er. „Heut hab' ich gehört, dass er letzten Sonntag für seinen Kopp allein auf der Sandfuhr war, wo sie immer tanzen, und er hätt' den Musikanten Geld zum Aufspielen gegeben und hätt' auch was traktiert.“
Die Frau des Fabrikanten schlug die Hände zusammen. „Wat? Unter das ordinäre Volk is he gegangen, – 'ne Küllenberg, meine Jung? Nee, nee, Vatter, dat passt sich doch nu mal gar nit. Darüber musst du mal ein Wort mit ihm reden.“
„Ich werd' mich hüten,“ sagte der Kaufmann. „De Jung hat seinen Kopp, und dreimal sieben ist er schon vor mehr als zehn Jahren gewesen. Vielleicht tobt er sich bei so 'ner ländlichen Tanzmusik ein bisken aus, un dat is mir eigentlich noch lieber, als wenn er Sonntags in Elberfeld oder Düsseldorf sein Geld totschlüg, wie die anderen Kaufmannsjungen, und sich nachher dicke damit täten. Wenn er an so Sachen noch Spaß hat, so zeugt dat von einem unverdorbenen Geschmack. 37 Und wenn er frische junge Dinger gerne sieht, dann wird er sich auch mal aus unseren Kreisen ein' suchen, die nit nur die Dame spielen mag. Nee, in die Sache wollen wir uns nit hineinmengelieren.“
Mutter Küllenberg sann einen Moment nach, dann erwiderte sie beruhigt: „Ja, du hast recht. Lass ihn nur. Und et wird auch wohl nix Unrechtes dabei sein. Er is nu mal wat eigen, und dat he über Land geht und einer Tanzerei zusieht, dat hängt vielleicht damit zusammen, dat he immer schon so wat für das Volkstümliche übrig hatte und schon als Kind am besten die plattdeutschen Stöckelcher aufsagen konnt.“ –
Inzwischen war Gottfried Küllenberg seines Weges durch Täler und kleine Wäldchen gegangen, um bei den einzelnen Lieferanten zu sehen, wie weit sie mit ihrer Arbeit wären, denn zu der Zeit war die Hausindustrie noch mehr im Gange als heutzutage, und in den Tälchen gab es mehr Kotten als in der Solinger Gegend Dampfschleifereien mit hohen, rauchenden Schornsteinen, und die „Kastemännchen“ galten noch zweiundeinenhalben Silbergroschen.
Und so hatte der junge Herr Gottfried im schönsten bergischen Platt dem Kimblers Drickes gesagt, wenn er lieber auf den Vogelfang ging und Distelfinken und Blutfinken der Freiheit beraubte, statt die Tafelmesserklingen rechtzeitig abzuliefern, dann möchte er das vor der nächsten Bestellung nur sagen, dann wollen sie ihm nicht durch weitere Aufträge das Vergnügen stören. Dann war weiter gegangen nach dem Buschmanns Höfken und hatte den Reider Kirbach besucht und dem fleißigen Manne gesagt, wenn er nächstens liefere, so täte er ihm einen Gefallen, wenn er zwei abgelegte, noch leidlich gute Anzüge mit heimnähme. Sie täten ihm nur den Platz im Kleiderschrank wegnehmen, und 38 der Kirbach könne seinen Jungen vielleicht was daraus machen lassen. Der Messerreider hatte ein gut Teil bergischen Stolz in sich und wollte von keinem sonst was geschenkt, nicht einmal einen Klaren und am wenigsten abgelegte Kleider. Aber Gottfried hatte das so nett herausgebracht, dass der Mann ihn scharf anblickte, dann einen energischen Feilenstrich tat und sagte: „Gottverdeck, ech well öch dat nit affschlagen.“ Aber er müsse eine Merle in Tausch nehmen, die schöner singen könnte als alle Merlen in den Kreisen Remscheid und Solingen zusammen.