(21.–40. Tausend. Verlag des Volksbildungsvereins zu Wiesbaden, 1917)
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Gleich nach dem Essen brach Gottfried wieder auf, Arbeiter zu inspizieren. Das gefiel ihm von jeher besser, als den ganzen Tag am Pult zu sitzen. Und der Alte hatte ihm dabei nie etwas in den Weg gelegt, weil durch dieses Besuchen der Leute draußen auf den Höfen und in den Kotten die Lieferungen doch immer ziemlich pünktlich von statten gingen.
Gottfried besuchte jetzt aber wieder einen, den er am wenigsten zu mahnen brauchte, den Kirbachs Welm, bei dem er erst am Tage vorher war. Der Welm hätte sich über den Besuch wundern können, aber er war viel zu ärgerlich dazu. Er hatte gerade einen Brief erhalten und schlenkerte ihn in der Luft und fragte zu dem Ankommenden: „Ich sag et Euch, Heer, so 'nen Kanaillendonnerkiel als dat Königs Hanemiken gibt et im ganzen Bergischen Land nit mehr. Die Kränk soll se kriegen!“
Er war sonst ein ruhiger Mann, aber die Erregung brachte seine Stimme zu einem so lauten Krächzen, dass die Lachtauben im Käfig über der Tür der Werkstätte laut zu ruckeln anfingen und Gottfried erschrocken frug, was denn eigentlich passiert sei. Da reichte ihm der Arbeiter den Brief eines Solinger Rechtskonsultenten hin, in dem der im Auftrag der Witwe Johanna Maria König, geborene Duvelschlag, die Hypothek auf den Königskotten auf den nächsten Vierteljahrtermin aufkündigte mit dem Anheimgehen, dass der Schuldner, 52 nämlich die unter Vormundschaft des Messerreiders Johann Wilhelm Kirbach stehende, minderjährige Auguste Hulda König, die Summe auch vorher bezahlen könne, was der Hypothekengläubigerin sehr angenehm wäre.
„Schusterei, Spott un Hohn! Sie will dat Kind um sein Eigen bringen, darauf is et abgesehn,“ seufzte der Arbeiter, setzte sich auf einen Schemel und stützte die Stirn in die Hände.
„Vatter, dann nehmen wir das Gusken zu uns,“ sagte der dreizehnjährige Pitter, der dem Vater schon wacker bei der Arbeit half.
„Dat hätt' ich ja schon lang' getan, wenn ich hier in unseren zwei Stuben Platz für das Weit (Mädchen) hätt',“ wandte sich der Reider an den jungen Kaufmann. „Seht, et ist die einzige Tochter von meinem Freund, dem Königs Oberam, der vor ein paar Jahren gestorben is un dem ich et versprochen hab, über dat Kind zu wachen und ihm sein Erbe zu erhalten. Un et ist ein brav und en schön Weit geworden, dat Königs Gusken. In der Schul' schon war sie immer die Beste, un überhaupt, et is so eine richtige Bergische, un sie hat Charakter. Sie lebt mit ihrer Stiefmutter zusammen, aber dat Weibsbild hat sie regelrecht ausgenützt. Für dat Obdach in ihres Vaters Haus un für dem Hanemiken sein schlechte Ärpelskost (Kartoffelspeise) hat et all seinen Verdienst hergeben müssen, un am liebsten hätt' sie et in eine Schleifböxe (Schleifhose) gesteckt un in den Kotten zu dem Schleifervolk getan. Aber dadermit hat se kein Glück gehabt, bei dem Gusken nit, die genau weiß, wat sie will, un bei mir nit. Un nu denkt das Os, dat meinem Freund die letzten Jahr nit verschönt hat, et könnt billig zu dem Gusken seinen Kotten kommen. Un Gottverdek! et is mir Angst 53 darum, dat sie ihre Absicht erreicht. Wer leiht uns wat auf de verfallene Kasten?“
„Hör mal, Pitter,“ wandte sich Gottfried an den Knaben. „Ich hab den Tabak vergessen. Du könntest wohl mal zum Winkelier springen und mir 'ne kleine Blas voll vom besten Halbknaster holen. Da, hast du 'nen Drütehner (= dreizehn Stüber, 50 Pfennig), und wat übrig bleibt, dat is für dich.“
Erfreut sprang der Knabe davon, und als Gottfried mit dem Reider allein war, legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Ich will euch wat sagen, Kirbach. Zufällig kenn' ich den Königskotten. Er hat ja nicht viel Wasser, ist abgelegen und überdies arg zerfallen. Et wird schwer halten, 'ne Hypothek darauf zu kriegen. Aber, ihr wisst, ich hab von jeher so 'ne Spaß am Fischen und am Krammetsvogelfang gehabt, un da hab ich neulich schon gedacht, auf dem Knappen am Königskotten – der Busch gehört ja wohl dazu – könnt ich mir mal eine Vogelskau herrichten, und der Bach ließe sich gut zur Forellenzucht verwenden. Ich will kein Wesens davon gemacht haben, un et brauch keiner zu wissen, dat ich dahintersteck', schon deshalb nicht, weil mein Alter dat, wat ja eigentlich nur meine Liebhaberei ist, als eine Dummheit ansehen möcht. Aber ich will das nötige Geld dazu hergeben. Wir können dat ja einstweilen ganz unter uns schriftlich machen. Et brauch keiner zu wissen, wo dat Geld herkommt.“
„Donnerkiel, Heer, dat is mir die größte Freud, seitdem meine Frau auf die Jungen noch dat Weit gekriegt hat!“ rief der Arbeiter und schüttelte dem jungen Kaufmann die Hände.
Das Geld könne er in den nächsten Tagen schon haben, sagte Gottfried, und überdies ein paar hundert 54 Mark dazu, damit der Kotten vielleicht in einen besseren Zustand versetzt würde. Das könnte man dann später mit in die Hypothek eintragen.
Der Kirbachs Welm hüpfte ordentlich vor Vergnügen in der Werkstatt herum und rieb sich die Hände.
„Dat lass ich mir 'nen halben Tag kosten,“ frohlockte er. „Ich geh selber nach Solingen und bring dem Rechtskonsulenten dat Geld und lass et mir bescheinigen, un dann geh ich mit dem Papier feierlich in meinem Sonntagskamisölchen un mit einem frischen Vürhemdchen in den Königskotten un halt die Sache dem Hanemiken unter die Schnupftabaksnas' und sag': “So, Hanemiken, sag' ich, jetzt ist alles glatt, sag' ich, viel glatter, wie du gedacht hast. Und jetzt hast du hier in dem Haus von meinem Mündel nix mehr zu suchen, oder wenn du etwa noch ein paar Wochen bleiben willst, bis du eine andere Unterkunft gefunden hast, so zahlst du für jede Woche zwei Taler Pacht un kein Kastemännchen weniger. Un wenn du mit deinen Gereiden (Geräte, Mobiliar) abziehst, so nimm dich in acht, dat du nix mitgehen heißt, was der Erbin des Nachlasses des in Gott verstorbenen Messerschleifers und Kottenbesitzers König gehört, denn ich als Vormund hab' darüber zu wachen, un ich hab' ein genaues Verzeichnis, un dat liegt auf dem Gericht. – Herrgott, auf dat Gesicht von dem Hanemiken freu ich mich. Dat wird schöner als die größte Oper.“
„Ihr seid mir aber mal 'nen ausgemachten Fennekieker, Kirbach,“ lachte Gottfried belustigt über die Schadenfreude des Arbeiters. Plötzlich blieb Kirbach vor ihm stehen, legte die Hand an die etwas spitz geratene und nach oben gerichtete Nase, die ihm den Spitznamen „Wuppdich“ eingetragen hatte, und meinte: „Nee, nee, dat is noch nit dat Richtige. Dat Fraumensch 55 muss erst noch ein bißken gezwiebelt werden. Die Hypothek lösen wir erst in ein paar Wochen ein. Aber vorher lassen wir das Haus und den Kotten flicken und anstreichen un sorgen auch, dass das Gußken besser in die Kleider kommt. Lieber Gott, sie hat ja nicht einmal ein Paar ordentliche Schuh, und wenn sie auch ihre Blötschker immer schön angestrichen hat, es sind immer doch nur Blötschker. Nee, nee, wenn erst dat Geld da ist, dann muss mir dat Gusken herausstaffiert werden, einfach un gut, wie et sich gehört. Aber die Hexe, dat Hanemiken, dat wird gucken, un wird et heimlich mit der Angst kriegen, wenn ich sag', Hanemiken, dat Geld wird deshalb auf die Rep'ratur verwandt, damit der Kotten nach wat aussieht, wenn er wirklich zur Versteigerung kommen sollt'. Mit Gottes Hilfe und der Rep'ratur kriegen wir et doch wohl so weit, dat dich einer gehörig übersteigert un dat dat Gusken auch wat von der väterlichen Erbschaft hat. – Seht, un wenn sie ein paar Wochen lang so Angst geschwitzt hat, dann lösen wir die Hypothek und dann schmeißen wir die Witwe des Königs Oberam eraus. Schad, dat man die Hexe net vorher noch ein bißken brennen kann, denn dat hätt' sie um dat arm Gusken verdient.“
„Ich will euch euern Spaß nicht verderben, Kirbach,“ sagte Gottfried. „Aber lieb wär es mir doch, wenn ihr die Witwe König sobald als möglich schon auf den Trab brächtet. Un weil et doch ein bißken gefährlich ist, euer Mündel da unten allein in dem Häuschen zu lassen, so wär' et dat Gescheuteste, ihr zögt mit herein. Ihr habt dort wohl mehr Raum als hier, und dat ihr ein ordentlicher Halfe seid und bezahlt, wat die Wohnung wert is, dat wird der Vormund von dem Königs Gusken wohl wissen.“ 56 „Donnerkiel, ihr denkt aber auch an alles,“ rief der Reider erfreut. „Ja, ja, so wird et gemacht. Dat Gusken kriegt die beste Stube im Haus un et soll gut bei uns aufgehoben sein, dat sie et auch nach ihrer Mündigkeit nit besser haben will.“
„Wat is dir denn so Vergnügtes passiert, Jung?“ frug ihn Frau Küllenberg beim Nachmittagskaffee.
„Ja, wo warste denn?“ erkundigte sich auch der Alte. „Oh, et is weiter nix, als dat mir heut der Kaffee so gut schmeckt. Gieß' er mir noch ein' ein, Mutter,“antwortete Gottfried. Und Frau Küllenberg schob seine große, mit schönen Blumen bemalte Tasse unter den Hahn der breitspurig auf ihren drei Füßen stehenden Zinnkanne, der „Dröppelmina“, und schüttelte den Kopf. „Dat soll et wohl nit allein sein, Jung.“
„Na, damit ihr et nun wißt,“ antwortete er. „Ich hab' endlich einen richtigen Ort für eine Vogelskau gefunden. He liegt auf einem Knappen, nit weit vom Flückhaus, un ich freu mich schon auf den Herbst. Da wird et mal wat Ordentliches zu fangen geben.“
„Hm, hm,“ brummte der Fabrikant. „Wie du nur grad auf die Liebhaberei gekommen bist. Sonst hatten die Küllenbergs doch immer mehr Spaß, schöne Äppel und Birnen zu ziehen un Hühner, die recht große Eier legen.“
„Ein jedes Tierchen hat halt sein Pläsierchen,“ erwiderte Gottfried übermütig und warf sich ein paar Klümchen Klarenzucker in den Kaffee. 57 Als das Königs Gusken einige Tage später wieder im Kontor erschien und die genähten Säbelgriffe ablieferte, hatte sie statt des verwaschenen Kleidchens, das sie bei ihrem ersten Liefergange trug, ein neues Kleid an, dunkelgrün mit großen weißen Kringeln bedruckt, das ihr sehr gut zu Gesicht stand. Die Holzschuhe waren guten Lederschuhen gewichen, und die Schürze, deren einen Zipfel sie malerisch in den Bund gesteckt hatte, sah ordentlich ein wenig kokett aus. Die Kommis machten lange Hälse, aber schon war der junge Prinzipal selber an die Lieferbank getreten, hatte dem Mädchen sehr freundlich „Go'n Dag!“ gewünscht und das Lieferbüchelchen in Empfang genommen. Dann betrachtete er einige der Griffe und lobte die Arbeit. Sie waren besonders schön genäht, das müsse man sagen. Er befahl einem Lehrling, die Griffe abzunehmen und ein gleiches Quantum neue in das Liefermängken zu tun, während er selber die nötigen Eintragungen machte und dem Mädchen den Lohn, zwei Taler, ausbezahlte.
„Hoffentlich hat sie auch wat davon, Gusken,“ sagte er. „Halt sie die Kastenmänncher nur fest, damit die Mäus' sie nit fortschleppen.“
„Ach, dat hat kein' Not mehr, Herr Küllenberg,“ sagte sie, und ihr Gesicht strahlte vor Freude. „Der Oehm Welm hat einen gefunden, der wat für den Kotten hergibt un der auch dat mit der gekündigten Hypothek regelt. Un der Ohm will selbst nach Königs Kotten herausziehen, wie he mir im Vertrauen gesagt hat. Un dat wird et alles wieder besser für mich.“
„Na, na, dann wird sie wohl gar zu stolz, künftig noch Griffe für uns zu nähen?“ scherzte er.
Da wurde sie ordentlich rot vor Schreck und sagte: „Nee, nee, so wat muss man nit von mir denken. Nee, 58 jetzt macht mir die Arbeit erst recht Spaß. Gebt mir nur immer eine gute Tracht Griffe mit.“
„Aber wenn die Tracht zu schwer wird, dann drückt sie zu arg auf den Hals und dann könnt' et am End' 'nen Kropf geben,“ meinte er besorgt.
Da lachte sie und drehte den weißen Hals hin und her und antwortete, das hätte noch gute Wege mit einem Kropf. Der Hals sei fest und gut, und wenn sie auch vielleicht ein wenig schmächtig aussehe, so hätt' sie doch ein gut Teil Kraft in sich.
Und wieder half ihr der junge Prinzipal, den Korb auf den Kopf bringen und öffnete ihr selber die Tür, damit sie sicherer mit ihrer Last durchschlüpfen konnte.
„Kieck, kieck, wat man nit all' erlebt,“ flüsterte der Kommis van der Hütten seinem Kollegen Neumann zu. „Dat de noch Spaß an den Weitern kriegen könnt', dat hätt' ich auch nit mehr geglaubt.“
„Dat fussige Gusken is aber auch wat Apparts,“ meinte der andere, aber ihre Köpfe fuhren schnell auseinander, als der Prokurist, der alte Pieper, mit seinen verschlissenen Arbeitsmauen (Schutzärmel) sich räusperte und einen missbilligenden Blick auf die beiden Jünglinge warf. –
In Königskotten war inzwischen eine gründliche Veränderung vorgegangen. Schreiner, Dachdecker und Anstreicher hatte einige Tage hantiert, und das Häuschen und die Schleifmühle sahen nun ganz reputierlich aus. Das Königs Hanemiken kam aus dem unangenehmen Staunen nicht heraus. Vergeblich hatte sie von dem Reider zu erforschen gesucht, woher das Geld für die Reparaturen komme. Und mit sehr gemischten Gefühlem nahm sie es auch auf, dass für eine bessere Ausstattung ihrer Schwiegertochter gesorgt wurde. Der Kirbachs Welm machte auf ihre Frage nur ein 59 verschlagenes Gesicht und sagte: „Dat Geld für alles dat wird noch rechtzeitig als zweite Hypothek eingetragen, damit beim Verkauf einer mehr bieten muss, als die erste Hypothek beträgt. Seid froh, Hanemiken, dat de Kotten nit an euch hängen bleibt.“
„Ja, da hat he recht, dat Dingen is et Abbrennen nit wert,“ zischte sie. Wenige Tage später wurde dann zu ihrem blassen Schrecken ihre Hypothek zurückgezahlt. Sie musste das Feld räumen. Und nun machte sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr und schimpfte auf den Reider als auf einen „falschen Honk“, und mit dem würde das Gusken noch wat erleben. Er aber würde sich auch umsehen bei dem fuchsigen Ding. So ein' hätt der Teufel schon vor der Geburt geküsst, dass sie so 'nen Rotkopf hätte, und sie wollt sich noch einmal kaput lachen, wenn es auf Königskotten Mord und Totschlag oder andere Schändlichkeiten gäb, schon deshalb, weil man so heimtückisch gegen eine arme Witwe gewesen wär.
Sie zog nach Solingen und eröffnete einen Privatmittagstisch für junge Leute, denn sie war lange Zeit Köchin gewesen, ehe der Königs Oberam auf die glückselige Idee verfiel, sie und ihre ersparten Taler zu heiraten.
Beim Kotten aber zog ein neues Leben ein. Die Erbin des Anwesens kam nun endlich zur Geltung und war nicht mehr das Aschenbrödel. Und als eines Tages Gottfried wieder erschien, angeblich, um eine Bestellung bei dem Kirbachs Welm zu machen, der jetzt mit Frau und seinen vier Kindern in dem Häuschen am Kotten hauste, da hatte er seine Freude daran, wie sich das Gusken betätigte, wie energisch sie dem Nesthäkchen der Reidersleute das Näschen zu putzen wusste, und wie sie der Frau zur Hand ging. Als er sich auf den Heimweg 60 machte, fand er das Mädchen im Garten beschäftig, der etwas seitab vom Hause lag. Es schien im fast, als habe sie auf ihn gewartet. Als sie ihn sah, ließ sie das Kartoffelhäufeln, das sie gerade besorgte, und kam auf ihn zu. Sie kämpfte mit einer starken Verlegenheit, als sie begann: „Ich wollt euch doch noch wat sagen, Herr Küllenberg, aber ihr braucht et dem Oehm Welm nicht zu verraten. Nämlich, ich hab et herausgekriegt, wer mir so aus dem Elend herausgeholfen hat.“
„Ach wat,“ wehrte er, „der Welm hat doch sicher nix gesagt, un da geht dat keinem wat an. Et wird irgend so 'ne verrückte Kerl gewesen sein, der vielleicht mal 'ne Absicht auf den Kotten hat, un dem et auf ein paar Groschen nit ankommt.“
„Nee, de Kerl is gar nit verrückt,“ entgegnete sie eifrig. „Un dat ihr et nur wisst, ihr seid et selber. Der Welm hat mir nix gesagt, aber er hat sich doch einmal so'n bißken verschnappt, und da hab ich et mir so zusammmengereimt, un ich weiß, dat et so is. Und da wollt ich mich doch, sobald ich euch mal allein kriegen könnt, so aus ganzem Herzen bedanken, dat ihr mir aus der Not herausgeholfen un dat ihr et mir möglich gemacht habt, dat ich die Erbschaft von meinem guten Vatter selig vor den räuberischen Krallen meiner Stiefmutter retten konnt'. Ihr ahnt et ja gar nit, wat ihr mir für ein' Guttat erwiesen habt un wie ich euch dankbar bin.“
Sie schluchzte in heftigster Bewegung und streckte ihm ihre beiden Hände hin.
Er aber fasste sie leicht um die Schulter, zog sie ein wenig an sich und sagte lächelnd: „Aber, Gusken, dat is doch gar nit der Red' wert. Wenn ich wirklich dat Geld hergegeben hätt', so wär et doch gut un sicher 61 angelegt, un da gäb' et gar nix zu bedanken. So beruhig' dich doch. Wat sollen die da drin denken, wenn sie dein verweint Gesicht sehen.“
Sie aber schluchzte noch immer krampfhaft und drückte seine Hände. Da zog er sie fester an sich und flüsterte: „Aber, Kind, jetzt hab' ich doch gedacht, du wärst so ein', die mit allen fertig würd', so'n Stücksken von einer stolzen Prinzessin, wenn auch nur von einer Kottenprinzessin, und nu bist du so weich un so – und so – –“
Er wusste nicht, was er sagen sollte, und so küsste er sie nur auf das rote Haar und streichelte sie wie ein kleines Kind.
Da nahm sie ihren Schürzenzipfel und wischte sich die Augen und putzte sich dann ein wenig das Näschen und meinte kleinlaut: „Ja, et is wohl ein bißken kind'sch von mir, Herr Küllenberg. Aber et is doch auch kein Mensch auf der Welt so gut zu mir gewesen als ihr.“
„Ich mein et auch wirklich sehr gut mit dir, Gusken“, antwortete er, und es tat ihm gut, als es ihm jetzt selber auffiel, dass er das schöne Mädchen so ganz von selber du genannt hatte. Und nun rüttelte er sie an der Schulter und lachte sie an und streckte ihr dann die Rechte hin und sagte: „Na, ich denk', wir bleiben gut freund miteinander, Gusken. Un no: adjüs für heut.“
Sie schüttelten sich kräftig die Hände und sahen sich leuchtend an. Dann ging er davon, aber nur, um bald wieder stehen zu bleiben. Seine Blicke umspannten ihre Gestalt, und es ging wie ein Beben durch seinen Körper. Da kam er noch einmal zurück und sagte verlegen: „Da fällt mir noch wat ein, Gusken. Sieh, ich habe keinen Spaß daran, Sonntags in die Stadt zu 62 gehen un Billard zu spielen oder sonst die Zeit da auf andere Art tot zu schlagen. Aber ich geh gern so über Land und kehr ein, wo sie ein bißken Musik machen un wo sich die einfachen Leut am Tanzen verlustieren. Un da denk ich, übermorgen, auf den Sonntag, auch mal wieder nach der Sandfuhr zu gehen un mir dat lustige Gedöhns da anzusehen. Wie wär et, Gusken, wenn du da auch hinkämst, so um vier herum?“
„Wie meint ihr dat?“ fragte sie unruhig und heftig errötend.
„Na, ich mein, du kämst einfach hin, und wir träfen uns da, und du tränkst ein Köppken Kaffee mit mir und wir äßen ein paar Burger Bretzeln dazu oder ein Stück Kuchen, oder wat et grad gibt.“
„Und der Oehm Welm und die Möhn sollen mitkommen?“ fragte sie aufgeregt.
„Nee, um die is et mir auf den Sonntag grad nit zu tun. Ich mein, du kämst allein heraus, wie et doch so viele Mädchen tun.“
Da hob sie den Kopf jäh und stolz empor und entgegnete abweisend: „Nehmt et mir nit übel, Herr Küllenberg. Wenn mich so einer grad einladen tät, mit dem ich in die Schul' gegangen wär', dann wär nix dabei. Ihr aber seid ein reicher Kaufmann aus einer angesehenen Familie, und ich bin nur eine Schleiferstochter, wenn ich auch den Kotten geerbt hab'. Zu so wat passen wir zwei nit zusammen, un deshalb darf ich nit auf die Sandfuhr gehen, euretwegen nit und erst recht meinetwegen nit. Ihr wollt doch nit, dat ich in ein schlecht Gered komm.“
„Verdeckt, daran hatt' ich im ersten Augenblick gar nit gedacht! Ich dacht nur, dat ich mal gern mit dem Königs Gusken in aller Freundschaft Kaffee tränk und 63 vielleicht auch ein paarmal herumtanzte. Is denn da wat dabei?“
„Nee, an sich gewiss nix, aber ...“
„Aber, aber ... Aber wir sollten Manns genug sein, zu tun, was uns Spaß macht, un dat werden wir immer vertreten können. Und wenn ich dich einlad, Gusken, dann vertret ich dat auch, un der Deuwel soll den holen, der da seine Nas hineinhängt. Wahrhaftig, Gusken, ich mein' et gut mit dir un möcht nit, dat du in ein falsches Licht kämst. Aber ich frag dich jetzt in Ernst: Kömmst oder kömmst nit?“
Einen Augenblick schwankte sie noch, dann sagte sie und stampfte ein wenig mit dem Fuß auf: „Gut, dann will ich ein Köppken Kaffee mit euch in der Sandfuhr trinken. – Und et soll nur eins den Mund darüber schütteln!“ Sie ballte die Faust, und Gottfried lachte: „So is et recht, Gusken. Et soll einmal einer riskieren, uns wat nachsagen zu wollen. Also abgemacht, auf Sonntag nachmittag!“
Und nun schritt er schnell davon. Seine Augen blitzten, und er fühlte sich leicht und frei.