In fast allen Beschreibungen, Berichten, Abhandlungen und anderen
Beiträgen zu Solinger Schleif-Kotten wird immer wieder auf das
Hebebuch von Schloss Nesselrath
hingewiesen. Im Jahre 1918 veröffentlichte E. W. Röhrig dieses
Hebebuch teilweise in der Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins
(25. Jhg, Nr 3/4, Seite 25-36).
Das Original soll laut Röhrig im Archiv von Schloss Westerholt in
Westerholt liegen.
War einmal; das Heberegister ist heute im Stadtarchiv Recklinghausen
deponiert, die Archivalie trägt die Signatur:
(Bestand 34:) Gräflich Westerholt'sches Archiv, Nr 1816:
Pachtregister und Rechnungsbuch, 1604-1604.
Bei dem Beitrag von E.W. Röhrig handelt es sich um eine (Gesamt-, nicht Teil-) Edition, lediglich
der Schlussvermerk wurde ausgelassen.
Die Aufschrift und Formalbeschreibung des Dokumentes lautet:
"Hebregister zu Nesselradt uff Martini. Anno 1605"
Quartformat, Papier, gebunden, zeitgenössische Foliierung, Bl. 1-29.
Vor Einsichtnahme muss aber bei der Westerholt- und Gysenberg'schen
Güterverwaltung eine schriftliche Genehmigung eingeholt werden.
Hier die Textstellen, in denen Schleifer abgabepflichtig aufgeführt sind:
(Die links angegebene Seitenzahl bezieht sich auf das Original-Hebebuch.)
21. |
Schleiffer. |
Jann arndts im Broch zu Solingen hat einen Schleiffkotten[15]
Underm Wupperhof, darauß gibt er Järlichs
vff Martiny | 4.R.dlr. |
Item | j # gimber |
Vnnd | 1 Hohn |
erst von vorigen Jaren j # gimber vnd 2 Honer |
|
|
21. |
Schleiffer. |
Claus tho Wittert vnd Clementz Im Broch, geben Jährlichs
auß einem Schleiffkotten Inn der Awen [16]
| 4 R.dlr. |
Item | j # gimber |
Vnnd | 1 Hun. |
|
22. |
Schleiffer. |
Neulen Söhn zu fürkells [17], geben auß einem Schleiffkotten
am Bielstein [17],
auf Martiny | 4 R.dlr. |
Item | j # gimber |
Vnnd | 1 Hon. |
|
F.H. S.53 -- Bielsteiner Kotten |
22. |
Schleiffer. |
Jann zur Schliken, gibt Järlichs auß einem Schleiffkotten
am Bielstein [17]
|
F.H. S.53 -- Bielsteiner Kotten |
23. |
Schleiffer. |
Petter Bössgen zur Beck, vnnd sein Sohn Tielman, geben
auß einem Kotten Inn der Wüster Awen,
Järlichs | 4 R.dlr. |
Vnnd | 1 Hun. |
|
F.H. S.53 -- Auer Kotten |
23. |
Schleiffer. |
Gorgus Im Broch vnd Petter vffm Berg, geben auß einem
Kotten Inn der Heel, so zuvorn Clemens Musch eingehabt,
Järlichs | 4 R.dlr. |
Item | 1 Hun |
Vnnd | j # gimber |
|
F.H. S.49 -- Heiler Kotten |
24. |
Schleiffer. |
Jorgens Nippels, Jetzunder Tillmann Bößgen, hat einen Kotten
Im Strom [18], darauß gibt er Järlichs an
|
24. |
Schleiffer. |
Jorgen Nippels und Petter Linderman der Jung, haben
miteinander noch einen Kotten Im Strom [18], darauß geben sie
Järlichs | 2 R.dlr. |
Vnnd | 1 Hon. |
|
25. |
Schleiffer. |
Eherdts Clements hat auch einen Kotten Im Strom [18], daraus
gibt er
|
25. |
Schleiffer. |
Gödtert Inn der Konigs Mühle [19] hat mit dem Herrn Kettler
gehandlelt, das er den verlohrenen Schleiffkotten In der Heel
gegen dem Wuperhof, uff seiner selbs Kosten wider vfpauen,
und mit schleiffen gebrauchen soll. 24 pleibende Jar, soll Jedes
Jars vnd vf Martiny dißes Jars 1605 ds erste mal Pacht geben
gibt er
|
F.H. S.49 -- Heiler Kotten |
26. |
Schleiffer. |
Sebastian Dentz bürger binnen Cölln hat Im Jar 1599 ds
Wasser oben an seiner new gebawten Mühle Im Riden [20],
von der fraw Chammermeister seeligen gepacht vff 12 pleibende Jar, soll Järlichs gen Nesselradt lifern
| 2 R.dlr. |
Item | j # Gimber |
Vnnd | 2 Honer. |
|
F.H. S.47 -- Obenrüdener Kotten |
Fußnoten aus der Quelle:
- [15]
- besteht noch.
- [16]
- Desgl. oberhalb des Wupperhofes.
- [17]
- Unter-Fürkelt nordwestlich Oben-Widdert. Von Wolfsstall (westlich des Raderhofes) fallen die Berge steil zur Wupper herab; dort führt eine Stelle den Namen Billstein;
dort soll der Sage nach der erste Schleifkotten der Gegend erbaut worden sein (Mehring)
- [18]
- Ist hier Strohn gemeint (zwischen Balkhausen und Burg an der Wupper)? Die v. Ketteler hatten dort Wälder und die Fischerei in der Wupper.
- [19]
- Königsmühle bei Höhscheid; die meisten Schleifer wohnten in den Orten südlich Solingens.
- [20]
- Oben-Rüden an der Wupper zwischen Leysiefen und Wupperhof.
Die offensichtlichen Tipp-Fehler (v statt u, w statt u ....) in obigen Zitaten sind kein Zufall. Ich habe
mich um eine bestmögliche Wiedergabe der Quelle aus dem Jahre 1918
bemüht, die in einer Frakturschrift gesetzt ist. Diese gebrochene Schrift ist
uns/mir heute kaum noch geläufig. (Am 3.1.1941 verbot Martin Bormann den Einsatz dieser Schrift.) Einige Zugeständnisse musste ich machen.
# steht beispielsweise für die lat. Abkürzung: 'lb' für libra (Pfund).
Gimber? Hendrichs nennt
eine Quelle, die diesen Begriff mit Wachholder übersetzt.
Es dürfte sich aber um Ingwer handeln. Ja, sie lesen richtig! Wer mehr
über Ingwer wissen möchte, dem empfehle ich die externe Seite zum Thema
Ingwer (Zingiber officinale Rosc.).
"Hon" bzw. "Hun" dürfte für
Huhn stehen, "vnd", "vnnd" = und, "item" =
ebenso, "R.dlr." = Reichstaler, ...
Eine Zuordnung der hier genannten "Steuerpflichtigen" bzw.
deren Wirkungsstätten zu den uns heute bekannten Orten unterlasse ich im
Moment, mir fehlt einfach das Wissen dazu. Und ich vermute, dass schon
in vergangener Zeit zuviel darüber spekuliert wurde. Beispiel? Anmerkung
[18], Röhrigs Vermutung zu den drei Kotten im Strom.
44 Jahre später glaubt Rosenthal dieses Rätsel im Sinne von Röhrig gelöst zu haben. In
einer Beschreibung zum Kirschbaumskotten (am Bertramsmühler Bach)
geht er darauf ein [Die Heimat, Feb.1962, S.8]. Ich habe aber noch etwas anderes
gefunden: Haus Hohenscheid
Nächste Fragestellung:
Welche Maße, Gewichte und Münzen waren im Bergischen
Land üblich? Gefunden habe ich eine Aufstellung, die für den Zeitraum um 1800
gültig sein soll: [Friedrich Winkgen, Auf alten Wegen um die Müngstener Brücke, Solingen, 1997]
Längenmaße: |
1 rhein. Rute | = | 3,77 m |
1 rhein. Fuß | = | 0,32 m (12 Zoll zu 2,6 cm) |
1 preußische Landmeile | = | ca. 7,5 km |
Flächenmaße: |
1 Quadratmeile | = | 56,7 qkm |
1 rhein. Morgen | = | 2556 qm = (180 rhein. Quadratruten zu je 14,2 qm) |
1 bergischer Morgen | = | 3170 qm = (150 bergische Quadratruten zu je 21,2 qm) |
1 Hond | = | 100 bergische Quadratruten |
Gewichte und Hohlmaße: |
1 bergischer Zentner | = | 51,5 Zentner (110 Pfund) |
1 Pfund | = | 480 Gramm |
1 Lot | = | 14,8 Gramm |
1 Scheffel | = | 13,8 Liter |
1 Malter | = | 165,8 Liter (12 Scheffel) |
1 Sümmer | = | 1/4 Malter |
Münzen (seit 1763) |
1 Reichstaler | = | 24 Groschen zu je 12 Pfennig |
1 bergischer Taler | = | 60 Stüber zu je 8 Heller |
1 Albus | = | 12 Heller |
Ob diese Angaben stimmen? Derzeit ist es nur ein Zitat!
Eben ein Sammelwerk! Vielleicht fallen mir später so einige Schuppen von den Augen und ich begreife die Geschichte von Solingen und der näheren Umgebung.
Offene Fragen: Viele!
Bsp: 1 Malter = 12 Scheffel = 12 x 13,8 Liter = 165,6 Liter?
Martini 11. November == Zinstag, Naturalienabgabe der Bauern an den Grundherren; am Vorabend Märtesengen; beim Sortieren der Früchte fiel für die heischenden Kinder etwas ab. S. a Märten.
[Rudolf Picard, Solinger Sprachschatz, Duisburg 1992]
Worterklärungen, zu finden auch bei Heinz Rosenthal, Solingen - Geschichte einer Stadt, 2.Band, Duisburg 1977, Seite 420 ff.
Beispiele:
Albus (1753) · 1/80 Reichstaler = 12 Heller
Goldgulden · (1724) 1 ggl = 1 Rtlr 40 Alb.
Gulden · seit 17.Jh. Silbermünze; im 18. Jh. = 1/3 Rtlr; 1 gl = 24 Alb.
Gulden, Holländischer · vor 1816 = 20 Stüber zu 16 Pfennig;
Heller · 12 Heller = 1 Albus; 21 Heller = 1 Stüber
Reichstaler · deutsche Silbermünze (1706) 80 Albus, (1752) = 80 Albus = 60 Stüber, seit 1764 = 1 preußischer Taler
Sohlgut · Haupthof eines zersplissenen Bauernhofes
An anderer Stelle fand ich folgende Erklärung:
Stüber oder Stüver: Stüber waren deutsche Nachahmungen der niederländischen Stüver im Wert von 2 Deut oder 4 Pfennigen. Die Münze wurde über 300 Jahre lang als Zahlungsmittel benutzt (Ende 15. bis Anfang 19.Jh.).
Gimber
Kommen wir noch einmal zurück zum Thema Gimber. Was mag sich
hinter diesem vor 400 Jahren gebräuchlichen Zahlungsmittel verbergen?
Bisher sind mir drei Erklärungsversuche bekannt:
- Wacholderbeeren,
- Ingwer,
- Tanacetum balsamita, Frauenminze.
Wacholderbeeren
Diese Deutung stammt nach Franz Hendrichs (1922) von Dr. Heinrich
Kelleter, Neuss, der Gimber von dem lateinischen Juniperus ableiten will.
[Die Schleifkotten an der Wupper, Seite 12]. Sofort stellt sich mir die
Frage, ob es jemals in unserer Gegend ausreichend Wacholderbewuchs gegeben
hat, damit Schleifer ihre Steuern damit zahlen konnten.
Soll es gegeben haben.
Ingwer
Erstmalig fand ich diesen Erklärungsversuch bei Heinz Rosenthal,
Solingen - Geschichte einer Stadt, 1.Band, Duisburg 1969, Seite
44, der für die Geländenutzung der Schleifer am Bielsteiner Kotten diese
Abgabe nannte. Ingwer? Hier bei uns? Wer mich beim Lesen dieser Zeilen
genauer betrachtete, der dürfte die dicken Fragezeichen
in meinen Augen erkannt haben. Ingwer ist und war zu jeder Zeit
ein Importgewürz. Wie sollten die heimischen Handwerker (Fabrikarbeiter)
an dieses (für mich exotisches) Gewürz gelangen? Wozu diente es damals? War es nur für die
"Obere Schicht" bedacht oder gab
es womöglich zu Weihnachten den Otter in Ingwer-Sauce?
Was ist mit dem gelierten Aal aus dem automatischen Ohlig-Fang,
den schmackhaften Ellritzen, gewöhnlich Rümpchen genannt und/oder den
Krammetsvögeln (Wacholderdrossel, Turdus pilaris)? Wie wurde damals der Flusskrebs zubereitet?
Gimber, Gengiber.
»Unter den Abgaben, die als Pacht oder sonstwie zu entrichten waren, wird
in hiesiger Gegend in früherer Zeit Gimber, Gengiber genannt
(Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins, Band 45, Seite 164;
Monatsschrift, 25. Jahrgg. 1918, Seite 33 ff.) Diese Wörter, die in
keinem der mir zur Verfügung stehenden Werken zu finden sind, bedeuten
Ingwer. Dies Wort hat zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen
Gegenden mancherlei Gestalt. Von den in Grimms Wörterbuch aufgeführten
Formen, deren es eine ganze Reihe gibt, mögen folgende erwähnt werden:
ingeber, imber, gingibere. Wie nun ingeber bei flüchtiger
Aussprache leicht zu imber wird, so wird aus gingibere
leicht gimber. Die Form gengiber (mit "e" in der
ersten Silbe) muß im Nordwesten weit verbreitet und häufig gewesen sein;
daraus erklärt es sich, daß der Ingwer im Westfälischen (Woeste,
Wörterbuch der westfälischen Mundart) und im Holländischen gember
heißt. Warum wurde die Lieferung von Ingwer gefordert? In früheren
Zeiten war "Würzwein" ein beliebtes Getränk, und unter den
Zugaben, mit denen der Wein gewüzt wurde, wird auch Ingwer genannt.
Außerdem wird man Ingwer auch wohl zu den Zwecken genutzt haben, zu denen
er heute noch dient.«
Diese Erklärung steht in der Zeitschrift
"Die Heimat", Jg.6#26, 27.12.1930, auf Seite 103. Der Autor
der Kleinigkeit ist mit Prof. B. angegeben, es dürfte Professor Bernhardt
gewesen sein.
In der 11. Auflage [eine ältere Ausgabe konnte ich bisher nicht
einsehen] des Etymologischen Wörterbuchs der
deutschen Sprache von Friedrich Kluge, 1934 (SaSG MN28) steht folgendes:
Ingwer M.
»Wie Krokus, Muskat, Narde, Zimt ist auch der Ingwer indischen Ursprungs.
Nach seinen Wurzeln heißt er aind. srñgavera 'hornartig'; über
prakr. singabera und spätgr.
ζιγγίβερις
[ziggiberis??]
entsteht afrz. gingebre, das seit dem 11. Jahrhundert als
gingiber(o), seit 1200 als ingeber, ingewer bei uns erscheint: Suolahti
1929 Frz. Einfluß 109 f. Zu späteren Formen des auch als Abgabe
wichtigen Gewürzes s. Zs. d. Berg. Gesch.=Vereins 45, 164; Monatsschr.
25 (1918) 33 ff. Zum Anlaut vgl. Gips.«
Vergleicht man beide Zitate, so stellt man eines fest: Sowohl Bernhardt
als auch Kluge geben als Literaturhinweise die Zeitschrift des
Bergischen Geschichtsvereins 45, Seite 164 und die Monatsschrift 25
(1918) Seite 33ff vom gleichen Verein an. In der Monatsschrift finden
wir das Heberegister von 1605 wieder. Ab Seite 33 werden die Abgaben der
(Solinger) Schleifer aufgeführt, aber schon auf Seite 32 lesen wir erstmals von
einem Pfund Gimber, die der Pächter von Gut Baumberg zahlen musste.
Werfen wir einen Blick in die Zeitschrift des Bergichen
Geschichtsvereins (45. Band, Jahrgang 1912 [SaSG KA 309 45-46]) auf
Seite 164, so stellen wir fest, dass dort von Roggen, Gersten, Haver,
mageren Verken, Eiern und Hering die Rede ist, aber nicht von Gimber.
Auf Seite 163 hingegen muss das Capitel zu Dusseldorf aus irem hof zu
Rollefradt im ambt Medtman 1/2 Pfund gengiber neben 7 Malter
Roggen, 10 Malter Hafer, 1 Ferkel, 4 Firdel Holz, 1/2 Pfund Pfeffer, 6
Hühnern und 500 Eiern an Pacht zahlen, so am 17.12.1604 festgesetzt wurde.
Was ich damit sagen möchte? Gleiche, nicht ganz korrekte Seitenangaben? Wer
hat was ungeprüft übernommen? Ob vor 1930 schon bei Kluge der Hinweis
auf den Bergischen Geschichtsverein vorhanden war? Wer kann helfen?
Tanacetum balsamita
Diese Erklärung stammt aus dem Buch von Gustav Hegi, Illustrierte Flora
von Mitteleuropa, VI. Band, 2 Hälfte, Seite 599, demnach
man die Pflanze bei Rheine (Westfalen) Gimber nennt.