Von bergischen Menschen und den Stätten ihrer Arbeit, so der Titel eines Buches, das 1971 erschien. Der Autor, Siegfried Horstmann, wollte keine vollständige Geschichte der Wirtschaft im Remscheider Raum und seiner näheren Umgebung darstellen, sondern ein anschauliches Bild über das Werden und Wachsen der heimischen Wirtschaft vom Rennfeuer bis zur Dampfmaschine vermitteln. Zum Thema Wiesenkotten steuerte er folgende Beschreibung (bekannt aus dem Jahre 1922) und heimliche Anekdote bei:
» Der Wanderweg von Müngsten entlang der Wupper nach Burg galt früher als einer der schönsten des Bergischen Landes. Der Fluß breitete noch nicht seine "lieblichen Düfte" im Tal aus, so daß sich die Wanderer mit Genuß die Lungen mit würziger Waldluft vollpumpen und frohe Lieder schmettern konnten. In regelmäßigen Abständen wimmerten am Wege Drehorgeln die neuesten Schlager und Moritaten. Die Besitzer dieser wundervollen Instrumente wurden von uns Jungen glühend beneidet, weil sie lächelnd im Handumdrehen, ohne vorherige qualvolle längere Fingerübungen, Töne hervorzaubern konnten und dazu noch unaufhörlich Pfennige und Groschenstücke von den vorüberziehenden Wanderschwärmen kassierten.
Auf halber Wegstrecke lag der Wiesenkotten, in dem ursprünglich große Tischmesser für Solingen und später Remscheider Sägen geschliffen wurden.
1880 legte man den Vorderkotten still und baute ihn zu einem Wirtschaftsgebäude um.
Als nach dem Bau der Remscheider Talsperre [1889-1891,mte] die erste große Völkerwanderung von "Fremden" und Einheimischen im Tal der Wupper einsetzte, staute sich der Verkehrsstrom am Wiesenkotten, weil dort nur ein alter Kahn den Fährdienst über die wild wogende Wupper besorgte.
I. | Von Personen einschließlich Tragslast: | Fährgeld |
a) bei gewöhnlicher Ueberfahrt für jede Person | 5 Pfg | |
b) für eine besondere unverzügliche Ueberfahrt mittelst Nachens, welche auf Verlangen geschehen muß, von den Uebersetzenden Personen zusammen wenigstens | 25 Pfg | |
wenn die Abgabe nach dem Satze zu a, von den Einzelnen erhoben, nicht mehr beträgt. | ||
II. | Von Thieren: | |
a) für ein Pferd oder ein Maulthier | 25 Pfg | |
b) für ein Stück Rindvieh oder einen Esel | 12 Pfg | |
c) für ein Fohlen, Kalb, Schaf, einen Hund, eine Ziege oder ein anderes Stück kleines Vieh | 5 Pfg | |
d) für Federvieh, welches getrieben wird, bis zu 10 Stück und für jede weiteren 10 Stück | 5 Pfg | |
III. | Von Fuhrwerken neben der Abgabe für die dazugehörenden Personen nach Ia und für das Gespann nach II: | |
a) für ein beladenes Lastfuhrwerk oder ein als Lastfuhrwerk benutztes Personenfuhrwerk | 50 Pfg | |
b) für ein unbeladenes Lastfuhrwerk, sowie für einen leeren oder zum Transport von Personen benutzten Personenwagen | 25 Pfg | |
c) für einen Kinderwagen, einrädrigen Handkarren, Handschlitten, auch beladen, sowie für die unbeladenenen Fuhrwerke der folgenden Abtheilung | 4 Pfg | |
d) für einen Handkarren oder Handwagen anderer Art oder einen Eselskarren, beladen | 8 Pfg |
Ein Jahrzehnt später spannte sich über das tiefe Tal bei Müngsten der gewaltige Bogen von Deutschlands höchster Eisenbahnbrücke [Bauzeit 1893-1897,mte].
Die nun weiter ansteigende Wanderwelle veranlaßte 1893 den neuen Besitzer des Wiesenkottens, Otto Jörgens aus Burg, eine Fußgängerbrücke zu bauen. Wer diese eiserne Gitterbrücke von 30 Meter Länge und 1,50 Meter Breite passieren wollte, war dem Besitzer tributpflichtig. Nach einer Regierungsverfügung betrug das Brückengeld fünf Pfennig für Erwachsene und zwei Pfennig für Kinder. - Für meinen Vater bedeutete das umgerechnet jedesmal eine 'unnötige' Ausgabe von zwanzig Pfennig = zwei Glas Bier. -
Da jährlich über 80.000 Menschen die Wupper auf dieser Brücke überquerten und ihre Groschen in die Brückenkasse plumpsen ließen, lohnte sich für den Besitzer die Anstellung eines Brückenwärters.
Wanderten wir Jungen allein durch das Tal, überlegten wir schon lange vor dem kritischen Punkt, wie wir die zwei Kupferlappen retten konnten.
Bei niedrigem Wasserstand hielten wir vorher Ausschau nach einer geeigneten Furt, um ungeschoren an das andere Wupperufer zu gelangen. Dann hieß es: Alle Mann Schuhe und Strümpfe aus! Sodann ging es hinein ins kühle Naß: vorsichtig, Schrittchen für Schrittchen. Es war schon ein aufregendes Abenteuer, weil unsere Beine noch nicht die vorschriftsmäßige Länge erreicht hatten. Manchmal konnten wir uns an niederhängenden Zweigen festhalten. Wehe dem, der auf glitschigem Gestein die Balance verlor! Oft zwang auch kurz vor Erreichen des Ziels eine tiefe Stelle zur Umkehr. Wir mußten uns dann etwas Neues einfallen lassen.
Geduldig lagerten wir am Wegesrand und warteten auf ein geeignetes Opfer. Kreuzte endlich ein älteres Ehepaar ohne Kinder auf, spazierten wir artig hinter ihm her bis zum kleinen Brückenhäuschen, in dem der "Raubritter" auf seine Beute lauerte. Wenn der von uns auserkorene "Adoptivvater" ahnungslos seine Geldbörse zückte, um den Obolus zu entrichten, war unser großer Augenblick gekommen. Wie Marathonläufer rasten wir an den Verduzten vorbei und genossen aus sicherer Entfernung die lebhafte Auseinandersetzung des Ehepaares mit dem erregten Zöllner.
Die Freude über die geretteten zwei Pfennigstücke hielt meist bis Oberburg an. Dort wurden sie in Salmiakpastillen umgetauscht, die von uns in Sternchenform auf die Handrücken geklebt mit Wonne gelutscht wurden.«
Salmiakpastillen in Sternchenform auf dem Handrücken.. archaische Erinnerungen werden wach.
Jahre später leckte man wieder an einem bekannten Handrücken ..
Die ultimative Tequila-Zeremonie:
Geviertelte Zitrone oder Limette, Tequila und Salz.
Zuerst ein Schnapsglas voll mit Tequila füllen.
Das Grübchen zwischen Daumen und Zeigefinger ist angeblich nur für folgenden Zweck
in der menschlichen Anatomie angelegt: Es soll befeuchtet werden,
damit das Salz, was dann darübergestreut werden soll, besser haften bleibt.
Ohne zu zögern leckt man das Salz aus dem Grübchen, leert das Glas,
beißt in das Zitronenviertel. Was dann folgt, kann man nicht beschreiben...
Obige Ansichtskarte wurde im Juni 1934 verschickt. Das Brückenzollhaus ist noch vorhanden, verschwunden ist der Außenkotten (im Bildvergleich).
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