Lassen wir direkt Franz Hendrichs zu Worte kommen. Denken Sie bitte daran, der Text erschien 1922:
»Der schon erwähnte Zweite Kotten ist bald erreicht,
d.h. die Stelle,
wo die beiden umfangreichen Anlagen dieses Kottens gestanden
haben; denn auch diese Kotten haben das Schicksal so vieler
anderer geteilt. Sie sind mehrfach errichtet, wieder niedergebrannt
und schließlich nicht mehr aufgebaut worden. Die Kotten waren,
soweit sich dies zurückverfolgen läßt, durchweg im Besitz der Familien Knyn,
oder wie das Sohlinger Rhentmeisterey Heebbuch **) vom Jahre
1683/84 in anderer
Schreibweise sagt:
"Wilhelm Knein an der Kolferter Bruggen zahlt an Wassererkändnuss
und Kottenpacht 1 Goldgulden"
Aus dem noch erhaltenen umfangreichen
Urkundenmaterial ***) geht hervor, daß die Staugerechtsame für den Zweiten Kotten
bis zum Jahre 1619 zurückreicht, und um das Jahr 1700 wird berichtet, daß die ober-
und unterhalb gelegenen Wasserwerke aus jüngerer Zeit seien.
In dem Antrag vom Jahre 1856 ist weiter erwähnt, daß beide Kotten im Jahre 1855 niederbrannten und vor dem Brande insgesamt 112 Arbeitsstellen aufgewiesen haben. Der Neubau wurde im Jahre 1859 fertig gestellt und zwar mit Wasserrädern, die einen Durchmesser von 17' und eine Breite von 6' aufwiesen. Die zuletzt erbauten Kotten, die durchweg nur für die Solinger Schneidwarenindustrie tätig gewesen sind, brannten im Jahre 1899 nieder.«
**) Staatsarchiv Düsseldorf
***) Akten der Stadt Gräfrath
In Anker und Schwert, Band 11, Kloster Gräfrath, Urkunden und Quellen 1185-1600, Solingen 1992 finden wir für das Jahr 1555 (Nr.418) folgenden Regest:
Heinrich in der Kohlfurth (Colffart) 1 und seine Frau Christine erwerben vom Kloster Gräfrath erblich das Recht, vom Wasser der Wupper so viel ohne Beeinträchtigung der klösterlichen Fischerei zu nutzen, daß sie 2 Schleifräder im Schleifkotten ihres Gutes bei der Großen Aue (Awen) betreiben können. Dafür haben sie bzw. ihre Erben an 1556 jedes Jahr am Pfingstmontag 7 M. 2 an Kloster zu zahlen. 3
[Verlorenes Chirograph (usgesnyden zedelen) rekonstruiert aus
gleichzeitigem Eintrag. - DGA 28. Bl. 26
1 Das Kloster bezog weitere Einnahmen aus der Kohlfurth:
Aus einem Gut 1 Mlt. Hafer, 3 Schillinge, Weißbrot. 1554 war das Gut
unter 4 Parteien aufgeteilt:
1. Sybel in der Kohlfurth; er wohnte auf der Sohlstatt.
2. Heyngen in der Kohlfurth;
3. Ursel und Jhengen;
4. Jasper in der Kohlfurth (DGA 28 Bl. 74).
Keyenberg führt 1668 in dem
Urkundenverzeichnis des Kloster Gräfrath unter Kolfahrt an: Kolfahrt im Kyrßpel
Solingen gibt nach Angeben Herrn Propsten 1 Mlt. Haberen, 4 Hüner, 4
Sch. u. 2 Pfd. Weißbrot. Der Herr Propst sagt, es werde ihme
widersprochen, daß dieses eine Erbpfacht seye.
Außerdem scheint eine Meiswinkel genannte Wiese im Kirchspiel Solingen
bei Kohlfurt gelegen zu haben, aus der eine Erbrente von 12 Albus zu
S. Martin zu zahlen war. Zahlungsvermerke bis 1625: 1552 zahlten
Martin und Johann; 1555 f. Heyngen in der Kolfert (DGA 28 Bl. 64'f.)
2 Gleich hohe Abgabe für eine Wiese s. Nr. 352 (1520).
3 Zahlungsvermerke bis mindestens 1613. 1588: Steffen
Wytte in der Kolffert hatt dissen vurs. kotten. 1595:Staffe
Wytte und Peter Knyn ein jeder VII M. 1609: Joh. [..]eidt wegen
Steffen Witte. (Ebd. Bl. 26,29).
]
Ob mit dieser Urkunde der Zweite Kotten gemeint ist, weiß ich nicht. Mich macht die Angabe "bei der Großen Aue" stutzig. Wirft man einen Blick in eine heutige Karte, so kann man vermuten, dass der Zweite Kotten am Anfang der Großen Aue, die Auer Mühle am Ende derselben lag. Wirft man einen Blick in die Karte von Ploennies aus dem Jahre 1715, so erkennt man, dass der Zweite Kotten dort als Doppelkotten eingezeichnet ist.
Und wenn wir schon einmal einen Blick in das Namenspuzzle werfen, hier der Rentmeister-Jahresabschluss des Hofrats, Richters und Rentmeisters Kannegießer aus dem Jahre 1750, in der Version vom Solinger Tageblatt vom 17.10.1940. Der Autor der Wiedergabe war ein E. Clauberg.
Als Zahlungmittel waren damals Reichstaler, Albus (Silberpfennige) und Heller üblich.
(Ein Reichstaler hatte 80 Albus, ein Albus zählte 12 Heller.)
An der Wupper oberhalb der Kohlfurter Brücke:
Name | Abgabe | in Heller | normiert |
---|---|---|---|
Clemens Jüngels Schleifkotten | 70 Albus | 840 | 0,42 |
Peter Jüngel und Jan Linder | 70 Albus | 840 | 0,42 |
Jan Linder und Wilh. Jüngel | 2 Taler 8 Alb. | 2016 | 1,00 |
Peter Klein | 2 Taler 8 Heller | 1928 | 0,96 |
Peter Jüngel | 1 Taler 32 Alb. | 1344 | 0,67 |
Johann Klein | 1 Taler 32 Alb. | 1344 | 0,67 |
Wilhelm Jüngel | 1 Taler 32 Alb. | 1344 | 0,67 |
Woher der Autor die Umrechnungskurse hat, entzieht sich leider meiner Kenntnis. An dieser Stelle verweise ich auf eine externe Seite: Marina Mutz, Münzen. In der dritten Spalte habe ich die Angaben von Clauberg auf Heller und Pfennig nach seinem angegebenen Kurs umgerechnet, die vierte Spalte ist eine relative Angabe bezogen auf die höchste Abgabe.
Welcher Name zu welchem Kotten gehört? Keine Ahnung, nur Vermutungen. Der Name Jüngel dürfte teilweise zur Auer Mühle gehören. Klein könnte ein anderer Name für Knyn sein. Linder könnte ein Eigentümer des Dritten Kottens sein. Und warum diese Kotten oberhalb der Kohlfurter Brücke an Herrn Kannegießer abgabepflichtig waren, wäre auch noch zu klären. Das Fischereirecht auf diesem Flußabschnitt (muss nicht mit dem Wasserrecht übereinstimmen) gehörte seit dem 1.9.1513 dem Kloster Gräfrath.
Hier meine Vermutung: Die ersten beiden Kotten ist der Dritte Kotten, Nummer 3 und 4 stellen den Zweiten Kotten dar (die unterschiedliche Steuersumme - 8 Albus bzw 8. Heller - halte ich fuer einen Tipp-, Schreib oder Lesefehler.) und die restlichen 3 Kotten bilden das bekannte Essemble an der Auermühle/Picardsaue.
In einem Nivellement vom Steuer-Inspektor Stahlschmidt,
angelegt im Sommer 1889 (Stadt Archiv SG, VII H 208), steht:
Zweiterkotten, 2 Schleifereien von Gust. Weck und Abraham Knyn,
2 unterschlägige Wasserräder, Durchmesser 4,25 m, Schaufeln 1,82 m lang,
0,44 m hoch, Umdrehungen 19 pro Minute, Arbeitszeit 10 Stunden.
Abschließend noch mehr Spekulationen: Heinrich in der Kohlfurth erhielt 1555 die Genehmigung, das Wasser der Wupper zum Antrieb seines Schleifkottens zu nutzen (Fakt). Zahlungsvermerke bis mindestens 1613. 1588: Steffen Wytte in der Kolffert hatt dissen vurs. kotten. 1595:Staffe Wytte und Peter Knyn ein jeder VII M. 1609: Joh. [..]eidt wegen Steffen Witte. (ebenfalls Fakten) Die scheinbar nicht lesbare Eintragung könnte Joh. ... vom Scheid heissen. Angeblich gehörte das Gut in der Aue zum freien Hof zu Obenscheid. Hören die Einträge im Klosterbuch eventuell deshalb auf, weil hier etwas verkauft wurde? Hendrichs schreibt: »Aus dem noch erhaltenen umfangreichen Urkundenmaterial geht hervor, daß die Staugerechtsame für den Zweiten Kotten bis zum Jahre 1619 zurückreicht, und um das Jahr 1700 wird berichtet, daß die ober- und unterhalb gelegenen Wasserwerke aus jüngerer Zeit seien.« Sollte der Verkauf zwischen 1613 und 1619 erfolgt sein, so könnte es erklären, dass erst 1619 der Zweite Kotten in den Akten der Stadt Gräfrath auftaucht. Und wenn es stimmt, dass die anderen Kotten neueren Datums sind, dann wäre der Zweite Kotten der derzeit älteste, urkundlich belegte Solinger Schleifkotten an der Wupper.
Und da wir schon einmal dabei sind; im Heberegister von Vaßmann 1683/84 steht als erster Eintrag: Ernen Johan am Hollerstein jetzo Wilhelm Linder und Clemens Clauberg: 1½ Goldgulden. Die bisherigen Heimatforscher meinten, Hollerstein sei die alte Bezeichnung des Hohlenpuhler Kottens. Könnte es nicht sein, dass Linder und Clauberg die Besitzer des Dritten Kottens waren. Dann würde die Reihenfolge der Einträge im Heberegister auch eher stimmen. Gibt es vielleicht eine Flurbezeichnung mit einem ähnlichen Namen in Gräfrath?
Ich habe noch etwas zum Thema Zweiter Kotten gefunden. In Die Heimat, Juli 1973 (Jg.35-Nr.7), auf Seite 28 untertitelt ein unbekannter Autor ein Foto, das einen Graben zeigt, mit folgendem Text:
»DER ZWEITE KOTTEN ist schon 1619 in den Akten über eine Staugerechtsame genannt. Er befand sich unweit der Mündung des Unten zum Holzer Baches in die Wupper, etwa 500 Meter wupperaufwärts von der 'Picards Aue'. Nur noch einige spärliche Fundamentreste künden dem aufmerksamen Beobachter heute die frühere Existenz dieser Kottenanlage, die zeitweise 112 Arbeitsstellen aufwies. Innen- und Außenkotten brannten 1855 nieder, wurden aber bis 1859 wiedererrichtet. Ende des 19. Jahrhunderts war das Bergische Elektrizitätswerk von Gustav Paffrath Besitzer des Kottens. Bei einer polizeilichen Revision im Februar 1899 wurde der Kotten in schlechtem Zustand vorgefunden. Die Wände im Innern waren sehr unsauber und beschädigt: "An den schlechten Wänden kann nichts mehr ausgebessert werden." Staubabsaugvorrichtungen waren keine vorhanden. Der Schleifstaub wurde überhaupt nicht aufgefangen. Ebenfalls waren keine Schutzvorrichtungen angebracht. "Das ganze Gebäude bedarf von innen und außen einer gründlichen Instandsetzung." Paffrath erklärte sich bereit, den Betrieb zum 1. Mai 1900 einzustellen. Doch dazu kam es nicht. Der Kotten brannte noch im Jahre 1899 ab.«