»Zur Frühlingszeit im Mai des Jahres 1826 ging der Herr Ferdinand Jagenberg mit seinen beiden Söhnchen Emil und Adolf - damals noch Knaben 8 und 6 Jahre alt - über den Klauberg, durchs Sturmsloch, der Hassendelle entlang nach der Papiermühle, um dort in der Wupper, im tiefen Loch unterhalb der Schlachte zu fischen und zwischen den Steinen der Flete zu krebsen. Alle drei hier angelangt, zogen ihre Schuhe und Strümpfe aus, rollten die Hosen und Bürchen über die Knie hinauf und patschten vergnüglich im Wasser herum, was ihnen sichtbar große Freude machte, indem sie ihren Spaß mit- und untereinander trieben. Ob sie derweilen einen Fisch fingen oder ein paar Krebse kriegten, davon ist mir nichts bekannt geworden, und es schweigt sich daher meine Geschichte darüber aus. Möglich allerdings; denn die Wupper wimmelte damals noch von Fischen aller Art. Aber es ist auch ziemlich gleichgültig, ob sie was fingen oder nicht. Die Hauptsache war, daß während des Wassertretens und Plantschens der Meister Lauemburg von der Papiermühle sich eingefunden hatte und auf der Wiese, vom trockenen Ufer her mit großer Teilnahme und Sachverständnis dem Gebaren der Knaben und ihres Vaters zusah.
Als aber der Vater Jagenberg, des köstlichen Wasserspieles satt, sich mit seinen Jungen wieder ans Land begeben und im marschfähigen Zustand gebracht hatte, da sagte der die drei auf dem Heimweg begleitende Meister Lauemburg so von ungefähr und nebenbei, daß die Papiermühle stracks feil stehe. Die Erben Soter, in deren Familienbesitz das Werk an die 248 Jahre [1826-248=1578] ununterbrochen gewesen war, wollten teilungshalber verkaufen. Der Vormund Wackerzapp zu Bergisch Gladbach hätte sie Sache in der Hand. Ob das nichts für den Herrn Jagenberg wäre? insonderheit nicht für die beiden netten, kregeln Jüngelchen, die dort so munter, frisch und gesund vorausliefen: um ihnen in der Zukunft was zu vermachen? Der Kaufpreis könnte nicht so hoch sein; denn die Leute schlügen das Anwesen gern los, um es quitt zu werden und bar Geld zu bekommen.
So sprach der alte Lauemburg nicht vergeblich auf seinen Begleiter ein, denn als sie durch den Hohlweg oben auf der Hassendelle angelangt und sich "Adjüs" gesagt hatten, ging diese Anregung des Meisters Lauemburg dem Herrn Ferdinand durch den dicken Kopf und ließ im keine Ruhe: daß er an nichts anderes mehr denken konnte. Das Fischen dort unten in der Wupper tat er gar zu gern. - Wenn er heute die Fischerei auch nur gepachtet hatte, so könnte er morgen sie sein eigen nennen und seiner Liebhaberei mit nur noch mehr Herzenslust nachgehen. - Das Geld für den Ankauf der Papiermühle hätte er ja sowieso parat daliegen; und besser und sicherer könnte er's, mein' Seel, nicht anlegen. - Und vielleicht ließe sich unter den obwaltenden günstigen Umständen ein gutes Geschäft machen; das Werk samt den dazugehörigen Wohnhäusern, Äckern, Wiesen und Wäldern; das alles schien in gutem Zustand zu sein. - lass sehen! - Es käme ja lediglich auf den Preis an.
Alle diesen Gedanken beschäftigten während des Heimgangs unseren Herrn Ferdinand, und man sieht, daß der nachdenkliche Mann über seinem Vergnügen sein Geschäft nicht vergaß. Er hatte sich das sozusagen zur Lebensregel gemacht.
Daheim, im Klauberger Hofe angelangt, rief er seine schöne, damals noch schlanke Frau Anna herbei, gab ihr einen Kuß und frug, was sie davon hielte, und ob sie damit einverstanden wäre. Zwar nicht mit dem Kuß, den sie ja sowieso schon sitzen hatte, - sondern wenn er die Papiermühle kaufen täte. Schön-Anna, die damals langsam in Denken war und sich nicht gern überflüssige Bewegung noch Sorge zu machen liebte, weil sie mit der Absicht umging und sich damals schon anstrengte, einmal recht dick und behäbig zu werden, gab gern und gutwillig ihre Zustimmung. Sie war überhaupt keine Frau des Widerspruchs und hatte überdies grenzenloses Vertrauen in ihren Ferdinand.
So bereitete sich denn dieser zu dem bedeutsamen Geschäft, das der Familie eine ganz neue Richtlinie eröffnen sollte, vor, ließ am frühen Morgen des nächsten Tages sein Pferd satteln und ritt in einer Tour nach Bergisch Gladbach, ging spornstreichs zum Herrn Wackerzapp und brachte mit diesem ehrlichen Manne die Sache glatt und rein zu Rand.
Am Abend desselben Tages war Herr Ferdinand wieder daheim bei seiner Frau und den Kindern.
Zu welchem Preise damals die Papiermühle mit allem, was darauf stand und
drum und dran hing, erworben wurde, ist mir zu meinem großen Bedauern
nicht mehr erinnerlich; ich habe es gewußt, ist mir aber alles durch den
dummen Kopf gegangen. Diesen Kaufpreis zu wissen, hat geschichtlichen
Wert. Denn das Geschäft ist so bedeutend gewesen, daß es sich viele
Jahre hindurch in der Erinnerung einiger Bürger in dem alten
Papiermacherstädtchen Bergisch Gladbach erhalten hatte. Ich, der Enkel
des Ankäufers [Ferdinand Jagenberg (*1847, †1924)], saß dort einst im Jahre 1885 zwischen den Stammgästen
eines Wirtshauses. Darunter zwei oder drei Papiermacher. Als nun während
der lebhaften Unterhaltung so von ungefähr mein Name genannt ward,
stand einer der alten Herren auf, setzte sich „bei mich“ und erzählte mir
vom Ankaufe der Papiermühle, den er in seiner Jugend miterlebt hatte.
Ich freute mich dessen aufrichtig und sprach meiner Verwunderung aus,
wie diese Ereignis noch nach etwa 60 Jahren in der Erinnerung der Leute
fortlebte.«
Quelle: Die Solinger Papiermühle – Gedenkschrift zum 1. Juli 1926
Ein paar Anmerkungen:
„Hassendelle“ ist kein Tippfehler meinerseits, der Name der
heutigen „Hasseldelle“ steht so im Text.
Meister „Lauemburg“ heißt an anderer Stelle „Laubenburg“.
„Lauemburg“ ist korrekt, im Jahre 1833 kehrte
der Papiermühlenmeister Lauemburg Solingen den Rücken zu, wanderte
nach Almersbach aus und kaufte dort eine Papierfabrik.