Unfall am Bahnhof Schaberg 11.9.1999

Da das Unglück am frühen Samstagnachmittag stattfand, berichteten die beiden Lokalzeitungen erst am folgenden Montag über dieses Ereignis. Die Meldung des Unglücks konkurrierte mit der Berichterstattung über den beliebten Zöppkesmarkt in der Solinger Innenstadt und den Erdrutschsieg der CDU bei der damaligen Kommunalwahl. Wenn man die Artikel im Nachhinein liest, dann könnte man auf die Idee kommen, dass die Autoren und Sprecher vom Bierstand bzw. der Wahlparty weg zur Arbeit gezwungen wurden.

Solinger Tageblatt, Montag, 13. September 1999, Titelseite:

Schweres Zugunglück

Fünf Leichtverletzte und ein Millionenschaden

Foto: Christian Beier
Mit etwa 60 Stundenkilometer krachte der Schotterzug in einen stehenden Bauzug im Schaberger Bahnhof.

Solingen (sith). Am Samstag um 14.30 Uhr donnerte ein Zug, der mit 640 Tonnen Schotter beladen war, auf einen Bauzug, der am Bahnhof Schaberg stand - mit 60 Stundenkilometer. Fünf Menschen, darunter der Lokführer und sein Begleiter, wurden leicht verletzt.
Solingen S. 9 und 15

Solinger Tageblatt, Montag, 13. September 1999, Seite 9

Arbeiter knapp am Tod vorbei

Schotterzug donnerte in einen stehenden Bauzug im Schaberger Bahnhof. Wie durch ein Wunder nur Leichtverletzte.

(kc) "Ich stand mit meinen beiden Kindern hier auf der Brücke und schaute auf den Schaberger Bahnhof. Plötzlich krachte es ganz laut, Waggons flogen hoch, da habe ich nur noch gesehen, dass ich meine Kinder in Sicherheit bringe", noch Stunden später ist die Augenzeugin ganz aufgeregt.

Foto: Christian Beier
Wie durch ein Wunder konnten sich aus dieser Lok zwei Menschen - nur leichtverletzt - retten.

Samstagmittag 14.30 Uhr. Großalarm für die Solinger Feuerwehr. Ein mit 640-Tonnen Schotter beladener Bauzug donnerte mit etwas 60 Stundenkilometer auf einen Schienenbagger und schob sich dann wie eine Dampfwalze auf einen stehenden Bauzug. Als die Feuerwehr eintraf, brannte die Lok und der Bagger. Blitzschnell ermittelten die Retter, dass keiner der 15 Baustellenarbeiter noch unter den Trümmern liegt. Der Baggerführer konnte in letzter Sekunde abspringen. Bauarbeiter stolperten über die Schottersteine. Der Lok-Führer und ein Begleiter schmissen sich - nach Angaben des Bundesgrenzschutzes - in der Lok auf den Boden. Fünf Baustellenarbeiter wurden vorsorglich ambulant ins Krankenhaus gebracht. Sie hatten Prellungen, Hautabschürfungen und standen unter Schock. 20 Minuten dauerte es, bis die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle hatte. "Wenn das weiter vorne passiert wäre?" Werner Klein, der Pressesprecher der Solinger Feuerwehr, ist erleichtert, dass das Zugunglück für Menschen so glimpflich ausgegangen ist. "Stellen Sie sich vor, der Schotter wäre von der Müngstener Brücke heruntergekracht."

Der Schaden wird in Millionenhöhe liegen. Über die Unglücksursache wird spekuliert. "Das Eisenbahn Bundesamt ermittelt", erklärt Erhard Koß, Notfall-Manager der DB. Er bestätigt jedoch, dass der Zug mit hoher Geschwindigkeit aufgeprallt sei. Bis vorraussichtlich Dienstag werden die Bergungsarbeiten andauern. Die Strecke bleibt gesperrt.
Weiteres auf Seite 15.

Solinger Tageblatt, Montag, 13. September 1999, Seite 15

Strecke bis Dienstag gesperrt

Bei den Bergungsarbeiten des Zugunglücks am Schaberger Bahnhof sind viele Hundert Helfer im Einsatz.

Von Susanne Koch-Schreiber

Millionenschaden, aber wie durch ein Wunder nur fünf leicht Verletzte. Ausgerechnet am "Tag der Bahn" sorgte ein Zugunglück auf der Strecke Solingen-Remscheid für einen Großalarm bei den Feuerwehren, Rettungsdienst und Technischem Hilfswerk.

Mit 60 Stundenkilometer, so Augenzeugenberichten, donnerte der Schotterzug auf einen stehenden Bauzug im Schaberger Bahnhof. Das Wrack des Baggers wurde mehr als 50 Meter mitgeschleift, bevor sich der Zug in die Waggons des stehenden Bauzugs bohrte. Zeugen sahen, wie sich die schweren Schotterwagen zu einem riesigen Schrotthaufen auftürmten.

Alarmiert wurden alle Wachen der Berufsfeuerwehr sowie die Freiwillige Feuerwehr. Alle Kräfte des Deutschen Roten Kreuzes wurden vom Zöppkesmarkt abgezogen. Bundesgrenzschutz und das Technische Hilfswerk Solingen sind seit dem Unglück rund um die Uhr im Einsatz. Die Unglückstelle muss weiträumig abgesperrt werden, damit die Helfer bei den Bergungsarbeiten nicht behindert werden.

Foto: Christian Beier
Das Technische Hilfswerk hilft bei den Aufräumarbeiten.

Zerstört wurde auch die historische Dachkonstruktion des Schaberger Bahnhofs, die inzwischen vom Technischen Hilfswerk abgebrochen wurde - unter Einsatz des eigenen Lebens, denn die wackelige Konstruktion drohte einzubrechen.

Sonntag gegen 15 Uhr traf endlich der Schienenkran der Deutschen Bundesbahn aus Leipzig im Schaberger Bahnhof ein. Auch Scalabrin ist im Einsatz, um die ineinander verkeilten Waggons auseinander zu schneiden und zu schweißen. Vorsichtshalber ist die Löschgruppe 5 der Feuerwehr vor Ort, um im Falle eines Falles sofort einzugreifen.

Die Bergungstrupps werden vom Technischen Hilfswerk (THW) verpflegt, dessen Mitarbeiter auch die Arbeitsstelle ausleuchten. Ein Spezialtrupp des Technischen Hilfswerks kam extra aus Ratingen.

Für das Bahnsteig-Dach wird Ersatz geschaffen. Das Solinger THW hat den Auftrag, in Wuppertal ein Wartehäuschen abzubauen und im Schaberger Bahnhof aufzubauen. Voraussichtlich bis Dienstag bleibt die Bahnstrecke über die Müngstener Brücke gesperrt. Auch die Gleise wurden durch das Unglück beschädigt. Die Deutsche Bahn hat in Zusammenarbeit mit den Solinger und Remscheider Stadtwerken einen Bus-Pendelverkehr eingerichtet.

Solinger Tageblatt, Dienstag, 14. September 1999

Zugunglück: Bahnstrecke weiter gesperrt

(kc) Der erste Zug wird voraussichtlich erst morgen wieder über die Müngstener Brücke fahren. Die Bergungsarbeiten der ineinander verkeilten Waggons und des Baggers haben sich schwieriger gestaltet, als es vorauszusehen war. "Wir ermitteln inzwischen schwerpunktmäßig in Richtung menschlichen Versagens", betont Jörg Bittner, Pressesprecher des Bundesgrenzschutzes. "Der Schotterzug fuhr in Richtung Remscheid-Hauptbahnhof los und kam in Güldenwerth ordnungsgemäß zum Stehen. Das ist einwandfrei auf dem Fahrtenschreiber festgestellt worden." Daraus lasse sich schließen, dass die Bremsen keinen Defekt hatten. Es wird vermutet, dass der Zug zu schnell gefahren ist. Sachverständige des Eisenbahn-Bundesamtes werten nun die Fotografien und Videos der Unglücksstelle aus und führen technische Untersuchungen durch. Mit einem Ergebnis der Untersuchungen rechnet Jörg Bittner erst in einem Monat. Zur Überbrückung verkehren weiter Pendelbusse.

Solinger Tageblatt, Mittwoch, 15. September 1999

Wieder freie Fahrt nach Remscheid

(kc) Fahrplanmäßig fahren heute die Züge wieder über die Müngstener Brücke. Wie DB-Pressesprecher Manfred Pietschmann mitteilt, wird der Sachschaden des Zugunglücks Schaberger Bahnhof auf vier bis fünf Millionen Mark geschätzt. Das Eisenbahn Bundesamt ermittelt: Es wird vermutet, dass der Zug zu schnell gefahren ist.

Soweit die Berichterstattung aus dem Hause B.Boll, nachfolgend die Version der Solinger Morgenpost:

Solinger Morgenpost, Montag, 14. September 1999

REPORTAGE: Fünf leicht Verletzte bei Bauzug-Unglück am Bahnhof Schaberg

9 Waggons sind jetzt Schrott

(stm / chk / tol). Samstagmittag, 13.40 Uhr. Drei Bauarbeiter sind am Bahnhof Schaberg mit Gleisstopfarbeiten beschäftigt, als ihnen aus Remscheider Richtung mit 60 Stundenkilometer ein Bauzug entgegenrast. Mit einem reaktionsschnellen Sprung von den Gleisen retten sich die Männer vor dem mit 640 Tonnen Schotter beladenen Zug, der auf einen abgestellten Bauzug aufprallt. Der Triebfahrzeugführer, der offensichtlich die Gewalt über den Zug verloren hat, und ein ihn begleitender Baustellenleiter haben gerade noch rechtzeitig abspringen können. Der Zugführer steht unter Schock und wird, wie auch die anderen vier leicht Verletzten ins Krankenhaus eingeliefert.

"Bahnhof wurde plattgewalzt"

Auch MORGENPOST-Mitarbeiter Toni Lieto will Samstagmittag von Schaberg aus nach Remscheid fahren. Doch schon auf der Schützenstraße versperren ihm die blauen Fahrzeuge des Technischen Hilfswerks und der Polizei-Bus den Weg. "Ich stellte das Auto ab und wanderte über einen Fußweg zu den Gleisen - fest entschlossen, mit dem Zug nach Remscheid zu fahren. Als ich mich noch fragte, weshalb plötzlich so viele Leute mit Kameras durch den Wald laufen, da hatte mein Marsch vor der kleinen Brücke auch schon ein Ende. Ein Bundesgrenzschutz-Beamter teilte mir mit, das es mit dem Ausflug heute wohl nichts mehr wird: "Hier fährt kein Zug mehr", meinte der Beamte, und ein Schaulustiger - selbstverständlich mit Videokamera - erzählte mir, einige Waggons seien entgleist und hätten den Bahnhof plattgewalzt."

In der Tat ist bei dem Aufprall die Lok ebenso entgleist wie ein Baustellenbagger und mehrere Güterwagen. Neun Waggons verkeilen sich und reißen die Stützpfeiler der unter Denkmalschutz stehenden Bahnsteigüberdachung fort. Der herbeigerufene Statiker Axel Röltgen stellt fest, dass sich das Dach um 60 Zentimeter verschoben hat: Es besteht Einsturzgefahr. Die Rahmenstützen sind so verzogen, dass das Dach abgetragen werden muss. 50 THW-Mitarbeiter aus Ratingen und Solingen rücken an, um in einer Nachtaktion das Dach durch provisorische Stützpfeiler zu stabilisieren. Doch der Bahnhofsbereich bleibt ebenso gesperrt wie die Bahnstrecke. Zwischen Solingen und Remscheid verkehren nur noch Busse.

Die heilen Waggons werden per Hydraulik wieder auf die Schienen gehoben. Neun Güterwagen, jeder mit 25 Tonnen beladen, haben nur noch Schrottwert. Um sie zu bergen, wird ein 70 Tonnen schwerer Spezialkran aus Leipzig geordert. Ein Schauspiel, das zahlreiche Neugierige herbei lockt. Noch am Sonntagabend steht ein rundes Dutzend auf der Eisenbahnbrücke und verfolgt das spektakuläre Erlebnis. Kran und Bagger haben alle Schaufeln voll zu tun, die verkeilten Waggons auseinander zu brechen. Noch immer besteht Einsturzgefahr; auch die Pressevertreter dürfen inzwischen nicht mehr an den Unglücksort. Fortdauernd passieren Lastwagen, Feuerwehr und Wagen des Bundesgrenzschutzes den schmalen Weg zum derangierten Bahnhofsgebäude. Einsatzleiter und Polizei sind zu keiner Aussage bereit. Der Bundesgrenzschutz betreibt weiter Ursachenforschung. Immerhin geht der Schaden in die Hunderttausende.

Solinger Morgenpost, Dienstag, 15. September 1999

Nach dem Zugunglück in Schaberg: Die Strecke ist erst morgen wieder frei - Fest steht: Der 33-jährige Lokführer war zu schnell, aber nüchtern

Schaden: mindestens drei Millionen Mark

ARCHIBALD PREUSCHAT

Beim Zugunglück am Schaberger Bahnhof Samstag Mittag entstand ein Schaden von mindestens drei Millionen Mark. Vier Gleisarbeiter und der Lokführer verletzten sich leicht. Die Bahnstrecke zwischen Solingen Hauptbahnhof und Remscheid Güldenwerth bleibt auch heute noch gesperrt. Ersatzweise verkehren Busse.

Gegenüber der MORGENPOST bilanzierte Bahn-Sprecher Manfred Pietschmann gestern den Hergang des Unglücks und den Schaden. Viel zu schnell raste der 33-jährige Lokführer mit dem Bauzug auf den Bahnhof Schaberg zu. In den neun Waggons hinter ihm lag Schotter - Gesamtgewicht rund 700 Tonnen. Die Geschwindigkeit - geschätzte 60 Kilometer pro Stunde - und die gewichtige Ladung machten ein rechtzeitiges Bremsen unmöglich. Zum Vergleich: Der Regionalbahn-Triebwagen befährt die Strecke zwischen Remscheid und Ohligs mit höchstens 80 Kilometer pro Stunde. Pietschmann: "Dabei hatte der Lokführer schriftliche Anweisung, nur auf Sicht zu fahren." In Höhe des Schaberger Bahnhofes prallt der Schotterzug gegen einen stehenden Arbeitszug, der schiebt sich auf den Bahnsteig, bringt die Dachkonstruktion zum Einsturz. Ein Bagger wird von den Schienen gefegt.

Foto zeigt die Trümmer auf Gleis 2 am Schaberger Bahnhof
Foto: Christa Kastner
Das Dach, nach dem Unglück einsturzgefährdet, wurde bereits abgerissen. Ein Spezialkran entsorgt die Trümmer am Schaberg.

Und das kostet: "Eine neue Lokomotive ist vier Millionen Mark teuer. Da wir uns die von einer Drittfirma geliehen haben, kann ich nicht sagen, wie hoch der Zeitwert ist, schätze aber mindestens 1,5 Millionen Mark. Der Bagger, der ebenfalls geliehen war, kostet mindestens eine halbe Million Mark. Die Schotterwaggons, die der Deutschen Bahn gehörten, kosten neu auch eine Million Mark", rechnet Pietschmann vor. Vorläufige Schätzungen. Gutachter könnten hinterher die Schadenshöhe auch mit vier oder sechs Millionen Mark beziffern. Geradezu preiswert der Schaden am Bahnhof: Den Wert der Dachkonstruktion beziffert der Bahnsprecher mit 300 000 Mark. Das Dach, nach dem Unglück einsturzgefährdet, wurde bereits abgerissen. Die Bergungskosten können noch beziffert werden. Bundesgrenzschutz-Sprecher Stefan Beckmann: "Fest steht nur, dass der Lokführer bei der Unglücksfahrt nicht betrunken war." Der 33-Jährige konnte nur kurz befragt werden, er steht noch unter Schock. Wie schnell der Schotterzug auf der Unglücksfahrt war, dazu wollte Marc Wille, Sprecher des Eisenbahnbundesamtes in Bonn, gestern auch noch keine genauen Angaben machen. "Zur Zeit werten wir den Fahrtenschreiber der Lok aus."

Auch heute bleibt die Bahnstrecke zwischen Solingen Hauptbahnhof und Remscheid-Güldenwert gesperrt. Auf diesem Abschnitt verkehren Busse. Die Fahrtzeit verlängert sich um 30 Minuten. Die Bahn rät Reisenden von Remscheid nach Düsseldorf dringend, über Wuppertal statt über Ohligs zu fahren.

Nun sind wir zwar etwas schlauer (oder verwirrter), was den Unfall angeht, aber warum an diesen unplanmäßigen Abriss vor Ort erinnert wird, dürfte nicht erhellt sein. Wenn Sie eine Erklärung haben, dann lassen Sie mich diese wissen.

An anderer Stelle fand ich folgende, bestimmende Zusammenfassung:

Keiß, Kurt: Die Eisenbahnlinie Solingen-Remscheid, Leichlingen 2001, Seite 40

Mit dem Abriß der Bahnsteigüberdachung an Gleis 2 wurde das Schaberger Gebäudeensemble 1999 leider eines seiner markanten Bestandteile beraubt. Es war nötig geworden, nachdem am 11. September dieses Jahres ein aus Remscheid kommender Schotterzug mit stark überhöhter Geschwindigkeit in eine Gleisbaustelle im Bereich der Station Schaberg gerast und dort aus den Schienen gesprungen war; der entstandene Sachschaden belief sich insgesamt auf ca. fünf Millionen Mark.

© 2004 Michael Tettinger, Sa. 02.10.2004 - So. 03.10.2004