Schleifkotten an der Wupper - Hohlenpuhler Kotten

Die Westdeutsche Rundschau berichtete am 16.4.1949 mit einem etwas längeren Artikel über die Geschichte des Hohlepuhler Kottens:

Der Hohlepuhler Kotten im Wandel der Zeit

Ein Schmuckstück des Wuppertals wurde zum Schandfleck

Westdeutsche Rundschau vom 16.4.1949

Weit ab vom Getriebe der Großstadt, eingebettet in das von Bergen umgebene Tal der Wupper, liegt an der Straße von Friedrichstal nach Wipperaue der Hohlepuhler Kotten, der einstmals zu den größten, schönsten und stolzesten Schleifkotten des gewerbefleißigen Wuppertales gehörte. Heute dreht sich sein Rad nicht mehr, der Kotten teilt das Schicksal vieler anderer, die bereits vor ihm verfielen oder ihren Betrieb einstellten.

Das Baujahr ist nicht genau bekannt, dürfte aber etwa 300 Jahre zurückliegen, denn bereits 1683 mußten die damaligen Eigentümer 1 1/2 Goldgulden für Wassergerechtsame an die Rentmeisterei zahlen. Es ist auch heute nur noch schwer erklärlich, warum dieser Kotten gerade an dieser Stelle erbaut wurde, mußte doch der Bauplatz für den Außenkotten in den steilen Fels geschlagen werden, während 50 Meter unterhalb freies Gelände ausreichend zur Verfügung stand. Vermutlich wurden hier aber Steine für das Stauwehr gebrochen, wodurch der Bauplatz zwangsläufig frei wurde. Die Rückwand des oberen Teiles des Außenkotten besteht nur aus steilen Felsen und nur auf einem schmalen Fußpfad den Felsen hinauf ist möglich, von außen das zweite Stockwerk durch eine Türe zu betreten.

Für die im Hohlepuhler Kotten tätigen Schleifer war es mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, zur Arbeitsstätte zu gelangen, da die heutige Fahrstraße erst fünfzig Jahre besteht und vorher lediglich ein ganz schmaler Weg entlang der Hohlepuhler Klippen den einzigen Zugang bildete. War das Begehen dieses Pfades schon bei Tage kein Vergnügen, so war es bei Nacht direkt lebensgefährlich, wovon manche überlieferte Episode zu berichten weiß.

In rund drei Jahrhunderten hat der Kotten manchen Sturm erlebt und Bekanntschaft mit Hochwasser und Eisgang gemacht. Die Kotteninhaber waren nicht ausschließlich am Schleifstein tätig, sondern beschäftigten sich auch sehr viel mit Fisch- und Vogelfang und gingen eifrig der Jagd nach, wovon das in jedem Arbeitsraum hängende Gewehr, eine sogenannte Entenbüchse, zu erzählen wußte. Zu diesen Zeiten wurde der Kotten oft wochenlang nicht betreten.

Als im Jahre 1806 das Bergische Land unter französische Verwaltung kam, wurden die vielen im Laufe der Jahrzehnte eingebürgerten Sonderrechte sofort aufgehoben. Dadurch fielen auch die an die Verwaltung von Schloß Nesselrath zu zahlenden Abgaben. Nach der Verbannung Napoleons im Jahre 1815 versuchte der Rentmeister von Nesselrath, die frühere Abgabepflicht wieder einzuführen; gegen die sich die Schleifer aber mit Knüppeln zur Wehr setzten, so daß er niemals wieder Wasserzins verlangte.

Wenn die Hohlepuhler Schleifer dieses Gesetz Napoleons unterstützten, so lehnten sie in einem anderen Falle ein Gesetz dieses Eroberers ab, das die Aufhebung der Bruderschaften verlangte. Mit echt bergischer Dickköpfigkeit hielten sie an einem Privileg fest, wonach nur die Söhne der alten Schleifer das Handwerk der Väter erlernen durften. Von dieser Ueberlieferung trennten sie sich erst im Jahre 1848.

Ein großer Brand vernichtete 1858 den Außenkotten völlig, doch gingen die damaligen Eigentümer Daniel Meis von der Lache, Nathanael Clauberg und Karl Meis von Hintenmeiswinkel sowie Eduard Neuhaus von Vorsen Teil des Kottens wiederaufzubauen, so daß er in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder in Betrieb genommen werden konnte.

Nach dem deutsch-französischen Kriege, als die Solinger Industrie einen großen Aufschwung nahm und daher mehr Lehrlinge eingestellt werden mußten, blieben die Hohlepuhler Schleifer auch hier nicht rückständig. Jeder Meister beschäftigte mehrere Lehrlinge. Bald waren aber trotz der "Ermietung" schulpflichtiger Kinder keine ortsansässigen Nachwuchskräften mehr aufzutreiben. Es wurde deshalb ein alter Schleifer ausgesandt, auswärts, hauptsächlich im Westerwald, Lehrlinge "aufzukaufen". Da diese ahnungslosen jungen Burschen das Handwerk doch zunächst einmal lernen wollten, deshalb aber noch nichts konnten, die Lehrmeister dagegen Geld verdienen wollten, klappte das Verhältnis durchaus nicht. Die meisten Burschen zogen daher nach beendeter Lehrzeit wieder in ihre Heimat zurück und gingen der Schleiferei verloren.

Das Eigentumsverhältnis im Hohlepuhler Kotten hatte sich im Laufe der Jahre grundlegend geändert, so daß es zeitweise 25 und mehr Besitzer gab. Die nur eine Mark wöchentliche Kottenmiete war vielen Mietern noch zu hoch, sie glaubten als Eigentümer billiger schleifen zu müssen. In diesem Falle mußten sie natürlich auch für jede Reparatur verantwortlich sein, was zu vielen Streitigkeiten führte, weil der eine den Kotten durch fortlaufendene Reparaturen betriebsfähig erhalten wollte, der andere dagegen Reparaturen für unnötig hielt.

Mit Beginn des ersten Weltkrieges begann der Zerfall des Kottens, da in der Folgezeit zahleiche Schleifstellen unbesetzt und damit unvermietet blieben und dadurch auch dringend notwendige Reparaturen nicht mehr durchgeführt werden konnten. Bei Kriegsende hatten sich die Verhältnisse grundlegend geändert, die Kottenmiete hatte sich verdreifacht und stieg immer weiter an und verursachte neue Streitigkeiten. Auch der Anschluß an den damals gegründeten Mieterschutzverein änderte daran wenig, so daß schließlich nach Ausbruch von Tätlichkeiten in einem anderen Kotten der damalige Höhscheider Bürgermeister Pohlig eingreifen mußte. In einer in der Widderter Schule stattgefundenen Besprechung, zu der aus jedem Kotten ein Eigentümer und ein Mieter erschienen war, einigte man sich auf eine wöchentliche Miete von einer Goldmark, die nach dem jeweiligen Valutastand umgerechnet wurde.

Kottenbesitzer und Mieter glaubten sich aber schon kurz nach Schluß dieser Besprechung übervorteilt. Die Mieter lehnten daher in einer neuen Versammlung den Beschluß der Kommission ab, worauf die Eigentümer die Arbeitsstellen kündigten. Schließlich mußten die Mieter zwei Wochen später die Forderungen der Eigentümer auf Zahlung einer nunmehr 1,50 Goldmark betragenden Miete bedingungslos anerkennen. Viele zahlten diese erhöhte Miete, viele zogen aber aus ihren alten Kotten aus, richteten sich zum Teil einen elektrischen Betrieb ein oder zogen als Mieter in einen solchen. Die Kottenbesitzer versuchten ihre sinkenden Einnahmen durch allmähliche Erhöhung des Mietpreises (bis zu 2,50 Goldmark) auszugleichen, ohne aber damit auch nur die Reparaturkosten decken zu können.

Auch im Hohlepuhler Kotten war die alte Eintracht verschwunden, seine Betriebseinrichtung verkam zusehends und als später die Erwerbslosigkeit in Solingen wahre Rekordzahlen aufstellte, war mehr als ein Viertel des Kottens außer Betrieb.

Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges, als ein großer Teil der Belegschaft eingezogen wurde, stellten sich die verbliebenden Eigentümer endgültig um und legten sich in ihren Wohnhäusern elektrische Betriebe an. Das Material wurde zum größten Teil dem Hohlepuhler Kotten entnommen, wodurch eines Tages der ganze Außenkotten außer Betrieb gesetzt war. Hier quartierte sich eine Solinger Familie ein, um der Bombengefahr zu entgehen, während andere Familien ihre Möbel im Kotten unterstellten, der ohnehin nur noch von zwei mehr als 60 Jahre alten Schleifern benutzt wurde. Der Kotten selbst ging mit Ausnahme der Rechte der Erben Schaaf an das RWE über und verfiel allmählich immer mehr. Alles was nicht niet- und nagelfest war, wurde zerstört und gestohlen.

Gegen Ende des zweiten Weltkrieges wurde eine aus Ukrainern bestehende Sanitätskompanie, die in der Wipperaue ein Lazarett unterhielt, im Außenkotten einquartiert. Diese verwandten grundsätzlich alles Brennbare als Heizmaterial und demontierten den Außenkotten ziemlich restlos. Im leer stehenden Teil des Innenkottens wurde eine Entlausungsanstalt eingerichtet, wo täglich mehrere hundert Personen entlaust wurden. Eine Holzschneiderei in dem anderen Teil des Innenkottens "lebte" nur einige Tage, da die Holzschneider von den Schleifern an die frische Luft gesetzt wurden.

Mit dem Näherrücken der Amerikaner zogen auch die Ukrainer ab, aber mit Beginn der Besatzung wurde der Kotten von Russen belegt, die bisher in Fabriken gearbeitet hatten. Jetzt wurde der Hohlepuhler Kotten eine richtige Räuberhöhle, da seine neue Insassen sich die ihnen fehlende Verpflegung selbst "besorgten". Die Zivilbevölkerung war diesem Treiben gegenüber ziemlich machtlos, da die Russen mit Schußwaffen ausgerüstet waren und davon, wie zahlreiche Fälle beweisen, auch rücksichtslos Gebrauch machten. Selbstverständlich nahmen sie sich auch der untergestellten Möbel an. Die beiden Schleifer kamen mit ihren neuen Hausgenossen noch eben gut aus. Was ihnen nachts gestohlen wurde, holten sich am Tage wieder.

Eines Tages wurde die ganze Gesellschaft in einen Besatzungswagen verfrachtet, an ihrer Hinterlassenschaft segnete sich die Zivilbevölkerung. Selbst falsche Kriminalbeamte tauchten auf, die sich das, was ihnen die Schleifer am Tage verwehrten, in der Nacht holten, nachdem alle Türen des Kottens eingeschlagen waren. Junge Burschen warfen zum Vergnügen Fensterscheiben ein, Dachziegel und Balken wurden gestohlen und bald fehlte sogar das gesamte Mittelgebäude.

Die aus der Gefangenschaft zurückkehrenden Soldaten fanden zwar den Weg zu ihrer einstigen Arbeitsstätte zurück, doch waren die neben der Miete aufzubringenden Reparaturkosten derartig hoch, daß sie es vorzogen, auszuziehen. Das Hochwasser im Februar 1946(8)? brachte die Betriebskraft des Kottens fast zum Erliegen. Im nächsten Jahr mehrten sich in erschreckendem Maße die Diebstähle, bei denen auch vor den Gerätschaften der Schleifer nicht Halt gemacht wurde. Das führte zum Auszug von drei Schleifermeistern mit sieben Schleifstellen, die restlichen beiden folgten ihnen bald nach, da durch Bruch der Achse das große Wasserrad auf Grund geriet und der Kotten damit für ewige Zeit stillstand. Kaum waren die letzten Schleifer ausgezogen, begann eine erneute Plünderei. Fenster und Türen verschwanden, die Brücke über den Zuflußgraben wurde demontiert, der Fußboden herausgerissen, schwere Balken aus dem Gefüge herausgesägt und das Dach teilweise abgedeckt. Was nicht gestohlen wurde, verfiel der mutwilligen Zerstörung.

So wurde der Hohlepuhler Kotten, einst der Stolz der Bergischen Bevölkerung und als Sinnbild des Gewerbefleißes dazu ausersehen, das Notgeld der Stadt Höhscheid in der Inflationszeit zu zieren, eine verwahrloste Ruine. Er besteht nicht mehr und ist in der gegenwärtigen Verfassung ein Schandfleck unserer Bergischen Heimat.

Ich stelle mir häufiger die Frage, warum kaum noch etwas von den damaligen Kotten an der Wupper zu sehen ist. Dieser Artikel gibt doch einen kleinen Anhaltspunkt. Und wenn man alle Beiträge in Summe liest? Vergessen darf man nicht, wann diese Publikationen erschienen sind, ein Blick auf das Datum ist schon sehr hilfreich. Jeder Zeitabschnitt hat seine eigene Prioritäten und Sichtweisen.

Der nächste Zeitungsartikel stammt aus dem Jahr 1950 >>Rheinische Post - 300jährige Schleifertradition schwindet

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©2002 Michael Tettinger, Mo. 20.05.2002, letzte Änderung: Sa. 10.08.2002
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