Spiegel der Kultur und Tradition Balis
EvaVeres
Prolog
Manche Reiseführer behaupten, die Namensgebung der Balinesen sei sehr einfach, sogar phantasielos, da nur vier Namen zur Verfügung stünden, und zwar entsprechend der Reihenfolge der Geburt der Kinder. Nach dem vierten Kind wiederholt sich das Namenkarussell von vorne. Der Nachwuchs also, der die Welt als fünfter in der Familie erblickt, darf sich wieder mit dem Namen des Erstgeborenen schmücken, der sechste heißt dann so, wie der zweite und so weiter. Den Eltern bleiben so manche Diskussionen erspart, wie das Baby heißen soll, wenn es ein Junge oder Mädchen wird; die Jungen und Mädchen genießen – zumindest, was es die Namen betrifft – Gleichberechtigung. Soweit die pauschale Aufklärung zu dieser kulturellen Exklusivität der Inselbewohner.
So einfach läßt sich aber dieses Thema auch nicht abhandeln, selbst wenn es uns Touristen tatsächlich auffällt, dass bestimmte Namen besonders oft vorkommen. Allerdings könnte ein Balinese in dieser Hinsicht so manchen deutschen Familien ebenfalls Phantasielosigkeit vorwerfen, wenn er während der ersten Woche seines Besuchs bei uns feststellt, dass fünf von seinen zehn deutschen Freunden, die er gerade kennengelernt hat, Michael heißen. (Ich habe mal eine kleine Statistik über die Vornamen der Studenten unserer Universität durchgeführt. Mit Abstand erreichte der Name „Michael“ die größte Häufigkeit. Kein Wunder also, dass auch in meinem Freundeskreis fast jeder zweite auf den Namen „Michael“ hört.)
Ich war also neugierig und wollte etwas nachbohren, wie nun die Balinesen tatsächlich heißen. Dazu fand ich allerdings herzlich wenig Literatur, weder in den Reiseführern noch in den Lexika, so wandte ich mich mit zahlreichen e-Mails direkt an meine Freunde auf der Götterinsel. Was mich aber dabei überraschte, dass die meisten jungen Balinesen kaum eine Ahnung haben, so dass sie auf meine Fragen entweder mit einem verlegenen Schweigen antworteten und schnell ein anderes Thema suchten oder bloß irgendeinen Quatsch erzählten. Die Ehrlichen schlugen vor, mich an die ältere Generation zu wenden. Insgesamt habe ich doch sehr viele - wenn manchmal auch widersprüchliche - Mosaiksteine von Informationen bekommen. Die inhaltlich reichsten und kompetentesten Auskünfte habe ich von I KETUT SUMARTA, dem Leiter der Redaktion (Ketua redaksi) der lokalen Zeitschrift SARAD und von DONNY HARIMURTI, dem Prajuru (Redakteur und Experte) der Internet-Seite BABAD BALI erhalten. Außerdem hat mich meine Freundin DEWI aus Renon/Denpasar stets mit wichtigen Hinweisen und Ergänzungen unterstützt. Als erste Kritiker haben meine in Deutschland lebenden balinesischen Freunde I GEDE OKA SINDHU PRIBADI und NI LUH GEDE YASMIN ASIH das Manuskript gelesen und kommentiert. Mein Dank gilt nun überwiegend den genannten Personen, aber auch für alle, die sich mit einem Steinchen an meinem Mosaikbild der balinesischen Namen beteiligt haben. Last but not least, danke ich MICHAEL, dem Gastgeber dieser Seite, für die Anregung, das Nörgeln und den letzten Schliff mit dem Layout.
Die Vornamen – Nama depan
Nun, dem deutschen „Michael“ entspricht – der Häufigkeit nach – der balinesische WAYAN. Klar, mit der größten Wahrscheinlichkeit wird eine Familie mindestens ein Kind haben. WAYAN kommt aus dem javanischen wayah-an. Wayah steht dort für alt und durch die Endung an wird daraus der Superlativ – der älteste – gebildet. Anstelle WAYAN gibt es wahlweise noch drei weitere Möglichkeiten: PUTU, GEDE (GDE) oder LUH. PUTU kommt ebenfalls aus dem Javanischen, wo putu die Bedeutung Enkel hat. GEDE ist im allgemeinen reserviert für Jungen, und LUH können nur Mädchen heißen. GEDE heißt auf balinesisch groß oder der größte. LUH läßt sich aus dem javanischen Wort galuh herleiten, das kleines Mädchen oder Blume bedeutet.
Für das zweitgeborene Kind stehen drei Namen zur Auswahl: MADE, NENGAH oder KADEK. MADE entstammt aus dem Wort madya der Kawi-Sprache, (der besonders verfeinerten alten javanischen Dichtersprache) oder dem Sanskrit mit dem Sinn „in der Mitte“. Dies kann als ein Hinweis auf die Familienplanung der ursprünglichen Bali-Kuno-Kultur aufgefaßt werden. Es waren offensichtlich nur drei Kinder vorgesehen. Die Zahl 3 spielt in der balinesischen Kultur überhaupt eine äußerst wichtige Rolle. NENGAH bedeutet ebenfalls „in der Mitte“ aber auf malayisch (bahasa melayu) und KADEK meint, er sei „der Zweite“.
Die Eltern von drei Kindern haben für
den letzten Sprößling nur noch zwei Namensvarianten zur
Verfügung,
NYOMAN
oder KOMANG. Beide sind javanischen Ursprungs.
NYOMAN
entspricht dem Wort nom-an,
der jüngste.
KOMANG ist auf den javanischen
kamong
„Baby“, verwöhntes, gehütetes Kind zurückzuführen.
Viele Familien
planen aber mehr als drei Kinder, also gehen sie davon aus, dass ihr drittes
Kind nicht das jüngste sein wird. Es bekommt erst den Namen
NENGAH,
es wird also in der Folge in der Mitte stehen.
Für den Vornamen des vierten Kindes gibt es keine Alternative, es heiß immer KETUT. Das javanische Wort katut meint mitgehen, folgen, hat aber auch die Konnotation "nicht erhofft", "nicht gewünscht". (Noch ein Beweis dafür, dass eigentlich nur drei Kinder willkommen sein sollten.) Wenn wir den heiß geliebten kopi Bali bis zum letzten Tropfen ausgetrunken haben, bleibt in der Tasse nur noch der Bodensatz übrig. Die Balinesen sagen dann: "Uhuk-uhuk! Katut ampas." (ampas= Bodensatz). Aber es wird auch geflüstert, dass KETUT auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Spezies steht, wie der Panda und der Komodo. Die indonesische Regierung propagiert nämlich ein Familienplanungsprogramm mit dem Slogan "Dua saja cukup" (oder Dua anak cukup) - "Zwei (Kinder) sind genug".
Ein – trotz allen staatlichen Propaganda – kinderreiches Ehepaar mit mehr als vier Kindern muß sich den Kopf mit dem Ausdenken von weiteren Namen niemals zerbrechen. Nein, mit dem fünften Kind fängt das Namenkarussell erneut von vorne an. Es gibt allerdings allerhand Ausnahmen. Das fünfte Kind muss z.B. nicht unbedingt wieder so wie der Erstgeborene genannt werden, es könnte eine Namensvariante des Zweitgeborenen bekommen und so verschiebt sich die Namenfolge einfach weiter.
Junge oder Mädchen
Bei den uns vertraut klingenden Vornamen können wir – von wenigen Ausnahmen abgesehen – gleich erkennen, ob es sich um eine männliche oder weibliche Person handelt. Nicht so bei den balinesischen. (Ausnahmen sind LUH und GEDE). Deshalb setzen Balinesen ein zusätzliches Zeichen vor den Namen, um zu zeigen, wer die Hose anhat.
Oh, pardon, falsch! Die traditionelle balinesische Kleidungsordnung sieht doch keine Hose vor! Sowohl die Männer als auch die Frauen tragen Sarong. Der Unterschied ist nun, dass Männer über dem Sarong noch den Saput und auf dem Kopf den Udeng anhaben. (Saput ist also ein Überrock der Männer und udeng ist ein Kopftuch, das nur von Männern getragen wird. Udeng ist die vornehme Bezeichnung, in der Umgangsprache wird es destar genannt. Dieses Kopftuch ist ein wesentliches Charaktermerkmal jedes balinesischen Mannes und der Inhaber legt großen Wert auf die individuelle Art seiner Gestaltung, d.h. aus welchem Stoff und wie das Tuch gebunden ist.)
Meistens steht „I“ für männlich und „NI“ für weiblich. Es gibt aber noch eine Latte von anderen Zeichen, wie z.B. SANG oder SI für besonders ehrenwerte und hoch angesehene Personen. Mit SANG können sowohl Frauen als auch Männer angesprochen werden, mit SI aber nur Männer. Manchmal drücken solche Namen wie SANG MADE oder SI KETUT eine besonders starke Verbindung mit den Ahnen oder mit ihrer Religion aus. (Allerdings Vorsicht mit SI. Die Anrede SI kann in der modernen indonesischen Sprache heutzutage auch für Frauen gelten, außerdem kann sie auch einen ironischen Unterton haben! Bekomme ich z.B. eine Anfrage, wie "Kabarnya SI JANOSCH bagaimana?" – dies bedeutet, dass jemand sich um das Wohlergehen meines Katers namens Janosch erkundigen möchte, der bekanntlich keine besonderen religiösen Beziehungen hat.)
Auf die weiteren vielfältigen Möglichkeiten zur sprachlichen Unterscheidung von Männern und Frauen werde ich später noch mehrmals zurückkommen.
Die Nachnamen (Kosenamen) – Nama belakang
Außer den genannten Vornamen bekommen die Kinder einen zweiten, manchmal sogar einen dritten „hinteren“ Namen (nama belakang). Dieser Name gilt eigentlich als Kosename, der die angesprochene Person besonders liebevoll bezeichnet. Einen Familiennamen in unserem Sinne gibt es nicht. Stellt sich uns jemand z.B. mit „nama saya MADE“ (mein Name ist MADE) vor, so können wir ihn oder sie – ohne unhöflich zu werden – ruhig fragen: "MADE siapa?", was etwa bedeutet, „welche(r) MADE?“. Die angesprochene Person wird dann entweder ihren „hinteren“ Namen verraten oder wir erfahren einen modischen Nickname.
Die balinesischen Nachnamen können aus den unterschiedlichsten Quellen herrühren. Früher (vor 1945) wurden Namen vor allem aus der Natur oder aus der vertrauten Umgebung geliehen. Es dienten entweder Gegenstände (Bäume, Steine), Stimmen oder Charaktere aus den Schatzkammern der alten javanischen Kuno- oder der Sanskrit-Sprachen als Pate für kurze Kosenamen. (kuno = altertümlich, veraltet; Kuno – manchmal auch Kuna – ist die im 14. Jh. aus Java mitgebrachte alte Sprache der Balinesen.) Solche sind NADI, CANDRA, KARI, BUDI, OKA, RAI, RAKA, GEDE, ALIT... (nadi = blühen, blühend; candra = Mond; kari = noch, zusätzlich, folgend, kleinste; budi = Bemühung, Gütigkeit, oka = Kind, rai = jüngere(r) Bruder oder Schwester; raka = ältere(r) Bruder oder Schwester, gede = groß, alit = klein). WAYAN KARI bedeutet beispielsweise, dass WAYAN das erste Kind in der "Folgerunde", d.h. das fünfte unter seinen Geschwister ist. Es bedeutet außerdem, dass WAYAN KARI das kleinste Kind der Familie ist. Wenn noch andere Geschwister folgen, dann ändert sich der Name zu WAYAN ALIT.
GEDE als zweite Name ist also nicht zu verwechseln mit GEDE als Vorname für Jungen. Als Nachname funktioniert GEDE nämlich nur als Adjektiv. Eine Bekannte von mir heißt z.B. NI LUH GEDE. Sie ist die Tochter der ersten Ehefrau ihres Vaters, somit hat sie den Beinamen "die Große" bekommen, damit man sie und ihre kleine Schwester NI LUH ALIT auseinander halten kann. NI LUH ALIT ist nämlich die erstgeborene Tochter der zweiten Frau ihres Vaters. (In der balinesischen Tradition ist die Mehrfachehe nicht verboten.) Wenn wir nun wissen wollen, was all die balinesischen Namen bedeuten, müssen wir also im alten Jawa-Kuno-Wörterbuch nachblättern.
Die Namen der Balinesen folgen äußerst selten den Namen des Vaters. Wenn das so ist, nur auf äußeren Einfluß. Einige Eltern fügen sogar hinter ihrem Namen den Namen ihres Kindes an, um ausländische Gepflogenheiten nachzuahmen. Dies allerdings widerspricht nicht den ursprünglichen balinesischen Traditionen, die noch in den Dörfer erhalten geblieben sind. Dort wird manchmal der Name der Eltern geändert, um auf den Namen des Kindes zu verweisen. Beispielsweise heißt der Sohn WAYAN SADIA, dann wird sein Vater mit PAN SADIA gerufen. (pan bedeutet Vater, es wird also damit deutlich gemacht, dass dieser Herr der Vater des WAYAN SEDIA ist.)
Ein traditioneller Nachname kann oft helfen zu erkennen, ob sein Inhaber eine weibliche oder eine männliche Person ist. Die Frauennamen enden üblicherweise mit dem Vokal i, oder den Silben ani, ini, während die Namen der Männer mit dem Vokal a (sprich: ein schwaches e) oder der Silbe ana abgeschlossen werden.
Die Kasten – Triwangsa
Die westlichen Geschichtsschreiber vergleichen die Sozialstruktur von Bali gern mit dem hindustanischen (indischen/pakistanischen) Kastenwesen. Die Balinesen wehren sich regelrecht gegen diese Auffassung und betonen, dass sie selbst den Ausdruck wangsa bevorzugen, der nicht die gleiche Bedeutung hat, wie das Sanskrit Wort kasta.
Die vornehmste Schicht wird von den Brahmanen (Brahmana), den Inhabern der geistlichen Macht, gebildet. Die exekutive Macht wird von der „Kaste“ der Ksatria (sprich Kschatrija) ausgeübt. Die dritte und die vierte „Kaste“, d.h. die Wesya (Waischja) und Sudra (Schudra) sind auf Bali zusammengeschmolzen. Das Wort sudra wird auf Bali ebenfalls nicht gern gehört, die Angehörigen der dritten Schicht nennt man jaba, was wortwörtlich draußen bedeutet und darauf hinweist, dass sie aus den Traditionen der beiden obersten Schichten ausgeschlossen sind. Es wird auch als unhöflich empfunden, von einer „niederen“ Kaste zu sprechen. Man sollte am besten den Ausdruck warga biasa, d.h. Normalbürger verwenden. Und das ist sicherlich richtig so, denn die Aristokraten und Brahmanen bilden lediglich 10 % der Gesellschaft. Im weiteren Gegensatz zum indischen Kastenwesen hat die balinesische Gesellschaftstruktur keine Kaste der Unberührbaren (paria). Auf Bali gibt es also nur drei Gesellschaftsschichten. Diese Struktur wird dann als Triwangsa bezeichnet.
Die Titel der Priester und Adeligen – Gelar Brahmana dan Ksatria
Mit IDA AYU wird die Tochter einer Brahmanenfamilie angesprochen. Für den Sohn eines brahmanischen Priesters (pedanda) gilt der respektvolle Titel IDA BAGUS. Der Priester selbst wird mit der Anrede IDA PEDANDA geehrt. Ida bedeutet edel, erhaben.
Die Angehörigen des Adels (ksatria) schmücken sich mit den Titeln ANAK AGUNG, DEWA AGUNG, DEWA MANGGIS, COKORDA (alte indonesische Schreibweise TJOKORDA) oder GUSTI. Die Vielfalt der Titel können wir beim Studieren der Namen der balinesischen Herrscher, der Raja beobachten. Etymologisch ist der Begriff raja mit einem König gleichbedeutend, er wird jedoch wegen der starken Devalvation des Ranges in den westlichen Sprachen oft mit Fürst oder Prinz übersetzt. Insbesondere seit dem 29. Juni 1938 – entsprechend der adu domba Politik der Niederländer (divide et impera) –, gab es nämlich auf der knapp 5.600 Quadratmeter großen Inselfläche gleichzeitig bis zu zwölf Könige.
Bali ist heute noch in acht Verwaltungsbezirke (Kabupaten) aufgeteilt:
2 Gianyar
3 Klungkung
4 Karangasem
5 Bangli
6 Buleleng
7 Jembrana
8 Tabanan
Die damaligen Herrscher der verschiedenen Regionen trugen unterschiedliche Standesbezeichnungen:
- Klungkung –DEWA AGUNG (bis zum 17. Jh. hieß ein Raja aus der MAJA- PAHIT-Dynastie DALEM)
- Badung – COKORDA (das ehemalige Territorium Badungs wurde zeitweise in Pamecutan, Badung und Kesiman, mit je einem eigenen Raja, aufgeteilt)
- Tabanan und Ubud – COKORDA
- Bangli und Buleleng – ANAK AGUNG
- Gianyar – DEWA MANGGIS, seit 1912 ANAK AGUNG
- Jembrana – GUSTI (Jembrana wurde stets von Regenten regiert)
- Karang Asem – GUSTI, seit 1937 ANAK AGUNG
- Mengwi – GUSTI oder ein anderer Titel, da die Regierung mehrmals wechselte und unter Klungkung, Badung, Gianyar oder Tabanan aufgeteilt wurde.
GUSTI ist dabei eigentlich kein königlicher Rang, sondern eine Bezeichnung für die höhere Herkunft. Es gibt westliche Meinungen, die den Titel GUSTI der Wesya Kaste zuordnen, die Balinesen zählen aber einen GUSTI eindeutig zu Ksatria. Die Vorsilben I und NI gelten nach manchen Meinungen als Zeichen der Kastenzugehörigkeit Wesya, wobei die Grenzen immer mehr verwischt werden. Bei vielen königlichen Namen findet man eine Häufung der oben erwähnten Titeln, wie z.B.
Die Liste könnte beliebig ergänzt
und fortgesetzt werden. Obwohl die historischen Fürstentümer
als Verwaltungseinheiten 1950 offiziell aufgelöst wurden, sollten
hier zum Schluß noch der jüngste Raja Balis, der Raja von Gianyar
ANAK AGUNG GEDE AGUNG (1999-) und der 1978 verstorbene Raja von Ubud, COKORDA
GDE AGUNG SUKAWATI erwähnt werden. Der
Letztere hat sich besonders durch die Gründung von Pita Maha, einem
Künstlerverein, und als großzügiger Mäzen des Museums
Puri
Lukisan berühmt gemacht. Zu seinen Freunden zählte Buckminster
Fuller, amerikanischer Architekt (Erbauer der Kuppel des amerikanischen
Pavillons auf der Weltausstellung in Montreal 1967). Die westliche Orientierung
der königlichen Familien aus Ubud, Pamecutan, Karang Asem und Tangkaban
(Bangli) wird auch dadurch deutlich, dass den Namen der Familienmitglieder
ihre Herkunfts-Orte angefügt werden. Bei meinen Forschungen
fand ich bisher allerdings nur eine einzige Herrscherin: DEWA
AGUNG ISTERI KANIA (1815-1851) und einen Raja, den ich zuerst aufgrund
seines Namens für eine Königin hielt: COKORDA
RATU NGURAH AGUNG (1844-1868). Ratu
heißt heute nämlich üblicherweise Königin. Es stellte
sich aber bald heraus, dass RATU in der
klassischen
javanischen Sprache auch als eine häufige Bezeichnung für den
König galt. Da machten mich meine Freunde darauf
aufmerksam,
dass es in der balinesischen Sprache mehrere Möglichkeiten zu einer
äußerst feinen Unterscheidung für Frauen und Männer
gibt. Die Silben "I" und "NI" sind die einfachsten Hinweise auf die
Geschlechter,
es kann jedoch, wie oben erwähnt im Falle eines Mädchens auch
zu Verwirrungen kommen. Um Klarheit zu schaffen, hilft das Adjektiv
AYU.
Nun, ayu und bagus
haben im wesentlichen die gleiche Bedeutung, auf Deutsch nämlich:
gut oder schön. Eine Frau wird aber eher als hübsch (ayu),
ein Mann dagegen als gut oder gut aussehend (bagus)
bewertet. Dementsprechend haben die Adeligen-Titel nicht nur männliche
sondern auch weibliche Formen. Paarweise sind es: I GUSTI oder I GUSTI BAGUS und NI GUSTI
AYU,
Eine Ausnahme bildet hierbei der Fall
COKORDA.
Die weibliche Form ist nicht COKORDA AYU sondern
COKORDA
ISTERI (oder ISTRI). In der modernen
indonesischen Sprache bedeutet isteri
Ehefrau, in der balinesischen Tradition steht jedoch das Wort einfach für
"Frau". So können wir sofort erkennen, dass die berühmte
Tänzerin
COKORDA
ISTRI RATIH IRYANI eine geborene Prinzessin ist. (Sie ist die Prinzessin
von Peliatan). Sie ist also weder die Frau des COKORDA, noch des Herrn
RATIH IRYANI. (Die Endung "i",
bzw. "ani" zeigt außerdem,
dass es sich hier um ihren eigenen Namen handelt.) Hin und wieder kann es aber Verwirrungen
geben. Nehmen wir den Namen I GUSTI AYU NADI.
– Ja, mit "I" vorne und AYU
hinten, kein Druckfehler also! Es handelt sich dabei um eine Frau, deren
Eltern überzeugt waren, dass sie eine Reinkarnation eines männlichen
Mitgliedes der Familie sei, so wurde sie I GUSTI
genannt, aber das zusätzliche Wörtchen AYU
zeigt, dass sie in Wirklichkeit ein hübsches Mädchen ist. Es
kommt also manchmal vor, dass Frauennamen mit "I"
eingeleitet werden, Männernamen aber nie mit "NI"
anfangen. (Laut dieser Auffassung können Männer wahrscheinlich
nie die Wiedergeburt einer Frau darstellen.) NGURAH ist
ebenfalls ein Zeichen für das Maskulinum. Es läßt sich
aus dem Wort anglurah oder
lurah,
d.h. Dorfältester herleiten. Diese Bezeichnung ist seit 1400 ziemlich
stark verbreitet. Es sieht nun so aus, dass ein junger Mann schmeichelhaft
als BAGUS, ein reiferer dagegen als
NGURAH
angesprochen werden kann. NGURAH hat also
nicht direkt mit der Kastenzugehörigkeit zu tun. Ältere Angehörige der höheren
Kasten werden mit NIANG und KAKIANG
(manchmal auch KAKI oder PEKAK)
bzw. mit BIANG und AJI
angesprochen. Niang bedeutet
ganz einfach Großmutter und kakiang
Großvater, sowie biang
= Mutter und aji = Vater. Für
bürgerliche Großeltern und Eltern gebührt dementsprechend
aber "nur" ODAH und DADONG,
bzw. MEME und BAPA.
Als Beispiel sei hier ANAK AGUNG NIANG RAI MENGWI
genannt, die dritte Ehefrau des bereits erwähnten Kunstförderers,
des COKORDA GDE AGUNG SUKAWATI. Zufällig
hatte ich die Ehre, den Verbrennungszeremonien (Upacara
Pitra Yadnya) dieser großen Dame von 19. bis 29. Dezember
1998 beizuwohnen. Meine Freundin DEWI besorgte mir eine goldgedruckte
Einladung,
womit ich sogar die innersten Räume des Raja-Palastes Puri Saren Agung
und des Tempels betreten durfte. DEWIs Mann war mit der Tante verwandt,
so lernte ich eine Menge Familienangehörige und auch die drei Söhne
des Rajas kennen. Damals fand ich besonders merkwürdig, dass alle
drei GDE heißen, nur der zweite Name
zeigt, dass GDE RAKA (der Bruder) der
älteste,
GDE
OKA der mittlere und GDE PUTRA der
jüngste Bruder ist. (Putra
und
Putri bedeuten Sohn bzw.
Tochter und sind damit weitere Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks
der Geschlechter.) Sie werden in der Familie allerdings nur kurz
GDE,
OKA
und PUTRA genannt. Vom Hörensagen erfuhr ich, dass sie
alle drei jeweils die ersten Söhne ihrer Mütter gewesen sind.
Ja tatsächlich, früher sollen viele Männer, vor allem die
Rajas, mehr als eine Ehefrau (gleichzeitig) gehabt haben. Nun, ich mußte
schmunzeln, als ich eine eMail zu diesem Thema erhielt: „Tapi kini kebiasan
itu sudah berkurang.“ (Grob übersetzt soll es heißen, dass
diese Gewohnheit heute schon abgenommen habe.) – behauptet der Schreiber
und erläutert mit beinahe pathetischen Sätzen, wie die balinesischen
Männer die Frauen schätzen und verehren. Deshalb gab es 1974
einen Erlass (PP 10/1974), demnach es für Beamte im öffentlichen
Dienst ausdrücklich untersagt ist, ohne Zustimmung der ersten Ehefrau
wiederholt zu heiraten. Ein großer Schritt? Wie auch immer, ein Thema,
das immer noch für heftige Diskussionen sorgen kann (siehe die Zeitschrift
SARAD, Ausgabe März 2000), aber auch eins, das uns von unserem weit
wegführen würde. Die Andeutung des Maskuliniums und des
Femininums kann gehäuft werden, wie z.B. bei den Namen I
GUSTI NGURAH RAI (Namensgeber des Flughafens in Tuban/Denpasar)
oder der Dame DEWA AYU EKA PUTRI KARIINI
(eka
= eins, kari = noch, folgend).
DEWA
AYU ist also das genealogische Zeichen dafür, dass sie einen
weiblichen Nachkommen einer früheren Raja-Familie darstellt,
PUTRI
bedeutet aber nicht, dass sie die Tochter des Herrn KARIINI
sei, sondern ist lediglich eine zusätzliche grammatikalische Betonung
ihrer Weiblichkeit. Die bahasa
Bali kennt also eine Menge Wörter, um die Geschlechter, Alter,
Familienstand
oder andere wichtigen Rollen in der Gesellschaft der betroffenen zu
verdeutlichen.
Gerade dieser Reichtum an sprachlichen Facetten, der anggah-ungguh
basa genannt wird und auf der sozialen Schichtung der
balinesischen
Gesellschaft ruht, macht die balinesische Sprache besonders schwierig und
kompliziert für Ausländer. Um die balinesische Sprache zu verstehen
reicht es nicht aus, die aksara
Bali, die balinesischen Buchstaben, d.h. die in sich komplizierte Schrift
zu kennen, man muß auch die Stratifikation der Gesellschaft begreifen.
Und wie die Balinesen es immer wieder betonen, ist das Konzept der
Triwangsa
mit dem indischen Kastenwesen nicht vergleichbar. Obwohl die adeligen Schichten immer mehr an
Bedeutung verlieren und die jungen Balinesen ihre Namen zunehmend aus dem
Ausland importieren, ist das Interesse an den Traditionen und die Achtung
des Kulturerbes, auch was die Namen betrifft, sehr groß. Deshalb
wäre es vollkommen unmöglich, dass ein jaba
(Angehöriger der dritten Schicht) seinen Sohn plötzlich
z.B. I GUSTI GEDE BEMBY nennt. Über ihn
würden seine Nachbarn von allen Seiten herfallen, selbst dann, wenn
seine Frau eine GUSTI AYU ist. Frauen sind
nämlich nicht berechtigt, ihren adeligen Titel an die Kinder zu vererben.
Der Grund ist, dass die adelige Tochter, die einen Mann heiratet, der nicht
einer der höheren Kasten angehört, in 90 % der Fälle
von den Eltern verstoßen und aus der Erbfolge ausgeschlossen
wird. Und noch etwas. Wenn ein bürgerliches Mädchen einen Jungen
aus der höheren Schicht heiratet, so bekommt die frische Ehefrau
keinen Rang, wie seine Kinder. Sie wird nach der Hochzeit einen
speziellen Titel JERO (oder JRO) erhalten, dessen Bedeutung hinein oder
hineintreten ist, also eine, die den Palast von außen betritt.
Nach balinesischem Prinzip folgt immer die Frau ihren Ehemann. Deshalb
empfinden balinesische Familien das Ausbleiben von männlichem
Nachwuchs als Tragödie, als Schicksalsschlag. Wer kümmert sich
um die Verbrennung ihrer Überreste, wer wird ihre Chronik
weiterführen, wenn das Haus leer wird? Die modernen balinesischen Eltern geben ihren
Kindern oft nicht mehr die traditionellen Namen
sondern wählen importierte Vornamen. Die jüngere Generation
benutzt
die Zeichen I oder NI
immer seltener und es sind ausländische Namen
auch als zweiter Name sehr beliebt, wie TIANA
(vom Titanic), DEVI, SANDRA,
JULI,
JANUAR,
usw. Man hört bereits Stimmen laut werden, die sich über die
psychologischen Faktoren, wie z.B. die Angst, für nicht modern gehalten
zu werden, beklagen und befürchten, dass die heranwachsende Generation
sich vom Verständnis ihrer lokalen Kultur weit entfernen wird, so
dass es immer schwieriger wird einen Balinesen von den nicht Balinesen
zu unterscheiden. Meine einheimischen Freunde meinten, dass es recht
interessant
wäre zu untersuchen, aus welchen Gründen dies geschieht. Ein
falsch verstandener Zeitgeist, Einfluß des Tourismusses,
Minderwertigkeitsgefühle,
Snobismus? Sicherlich ein gutes Streitthema. Gleichzeitig freut man sich, dass die
gesellschaftliche
Distanz zwischen den höheren und niedrigeren Schichten schwindet.
Die langen Namen der Brahmanen und Ksatrias werden in der Umgangssprache
durch Abkürzungen ersetzt, aus
IDA AYU
wird DAYU, aus COKORDA
einfach COK, aus ANAK
AGUNG bleibt manchmal nur GUNG übrig.
An der Udayana Universität lernte ich einen Kollegen, einen Architekten
kennen, der mich zu mehreren Ausgrabungsstätten begleitete. Auf seiner
Visitenkarte stand Drs. ANAK AGUNG GDE RAI REMAWA,
M.Sn, seine Kollegen nannten ihn aber nur einfach AGUNG RAI
und fügten bloß mit einem etwas anderen Lächeln
als üblich zu, in seinen Adern fließe blaues Blut. So kann es
passieren, dass wir im täglichen Leben Nachfahren alter Dynastien
begegnen. Sie schließen sich nicht in ihre Paläste ein, sondern
üben moderne Berufe aus. Sie übernehmen oft führende Positionen
im öffentlichen Leben aber sie integrieren sich auch im Alltag der
Insel und teilen Arbeit und Opfer für die Götter gemeinsam mit
den vielen WAYAN,
GEDE,
PUTU,
KETUT
..., den einfachen Bürgern Balis. Kürzlich bat mich meine Freundin, ihre
Tochter aus dem Kindergarten abzuholen. Zum vereinbarten Zeitpunkt kam
Julia mir strahlend entgegen. Sie wurde von einem blonden Jungen mit leuchtend
blauen Augen begleitet. Der Junge wollte die kurzweiligen Kindergarten-Stunden
offensichtlich mit einem kleinen Plausch noch verlängern. Sein Vater
winkte und rief ihm aber ungeduldig zu: "Komm doch schon, WAYAN,
wir wollen noch einkaufen gehen!" – und da der Junge die verbale Aufforderung
völlig ignorierte, eilte sein Papa zu uns, um seinen ungehorsamen
Sprößling an der Hand zum Auto zu schleppen. "Entschuldigung,
wir müssen uns beeilen" – sagte er, aber ich hielt ihn doch auf:
"Ihr Sohn hat aber einen seltenen Namen. Wissen Sie woher dieser Name kommt?"
– "Ja klar, meine Frau und ich
haben auf Bali geheiratet. Es war eine wunderschöne Zeremonie
und wir wollten auch unser erstes Kind nach balinesischer Tradition benennen."
– erzählte er ... "...ah wir müssen jetzt wirklich fort" –
und reichte mir zum Abschied die Hand – "... übrigens, ich heiße
Michael, Michael Schmidt". Julia und ich, wir winkten den Beiden im
wegfahrenden
Auto noch kurz zu:Frauen und Männer
IDA BAGUS und IDA AYU,
ANAK AGUNG und ANAK AGUNG AYU
sowie DEWA AGUNG und DEWA AYU. Heirat über die Grenzen der Kasten – Pernikahan luar wangsa
Zukunft der balinesischen Namen
Epilog
"Mach´s gut!" – "Kleiner WAYAN
Schmidt, mach´s besser!"